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Kulturwandel für Nachhaltigkeit

Schlagwort: Wahlrecht

  • Massenbewegung mit Umzugswagen

    Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht Basel-Stadt, laut soeben veröffentlichten, neuste Zahlen, einen Ausländeranteil von über einem Drittel, genau 33,8%. Dieser Wert stieg seit Jahren kontinuierlich an. Denn es zogen mehr Ausländer zu als weg und mehr Schweizer weg als zu. Ausserdem sterben viel mehr Eingeborene, weil sie im Durchschnitt deutlich älter sind. Manche von ihnen kamen als Ausländer nach Basel und sterben als Schweizer.

    45 000 Menschen zügeln jährlich innerhalb Basel-Stadt oder über die Kantonsgrenze. Während Jahren zogen mehr Ausländer zu als weg und mehr Schweizer weg als zu. Deshalb ist jetzt jeder dritte Basler Ausländer. Ein Meilenstein, der zu denken gibt. (Bild: Matthias Willi)

    In einer wichtigen Altersgruppe stellen die Ausländerinnen und Ausländer in Basel-Stadt gar die Mehrheit, und zwar bei den 30- bis 40-jährigen. In dieser Lebensphase bekommen viele Paare das erste und das zweite Kind. Dennoch leben in Basel-Stadt deutlich mehr Schweizer Kinder als Ausländerkinder.

    Offenbar sind viele Ausländer in erster Linie zum Arbeiten hier. Oder sie ziehen weg, sobald sie eine Familie gründen. Diese Annahmen werden durch eine weitere Zahl erhärtet: Ab Alter 50 schrumpft der Ausländeranteil drastisch. Es liegt nahe, dass hier Einbürgerungen und Abwanderung eine wichtige Rolle spielen.

    Basel dient offenbar nach wie vor als Motor für sozialen Aufstieg. Einmal etabliert, bewerben sich viele Ausländerinnen und Ausländer um den Schweizer Pass. Doch es gibt auch eine harte Selektion: Wer nicht reüssiert, zieht rasch weiter. Davon leben die Umzugsfirmen nicht übel. In den letzten zwölf Monaten beispielswiese, verliessen laut Statistischem Amt rund 13 000 Menschen den Kanton. 14 000 zogen in der gleichen Periode zu. Das ist schon fast eine Massenbewegung. Dazu kommen noch gegen 18 000, die innerhalb des Kantons zügelten. Zusammen sind das 45 000, die eine neue Wohnung suchten, fanden und bezogen. Dies entspricht beinahe der ganzen Kleinbasler Bevölkerung – in einem einzigen Jahr!

    Bei Domizilwechseln innerhalb des Kantons waren zwar überproportional viele Ausländer beteiligt, aber die Mehrzahl waren Schweizer. Beim Wegzug über die Kantonsgrenze hinweg, ist die Zahl der Ausländer deutlich höher als jene der Schweizer, obwohl die Ausländer nur einen Drittel der hiesigen Bevölkerung ausmachen. Das heisst: Ausländer ziehen nicht nur fleissig nach Basel, sondern im Vergleich zu den Schweizern etwa drei Mal so häufig wieder weg.

    Die nackte Zahl – wir haben jetzt ein Drittel Ausländer – sagt also wenig aus. Es gibt Ausländer, die rasch wieder das Weite suchen und andere, die bleiben. Viele sind hier schon lange etabliert. Ihr Blickwinkel ist wertvoll: Weil sie sich aktiv um Basel bemüht haben, kennen sie den Kanton von einer anderen Seite als Alteingesessene. Diese Ausländer sollten wir ermutigen, Schweizer zu werden. Zum Beispiel, indem sie Gelegenheit bekommen, bereits fünf Jahre vor dem regulären Einbürgerungsdatum mindestens kantonal das Stimm- und Wahlrecht auszuüben.

  • Ode an Nichtwählende

    Nichtwählerin, Nichtwähler, gestatte, dass ich Dich duze. Nicht, weil wir eng befreundet wären und auch nicht, weil jetzt eine Moralpredigt von Vater zu Tochter oder Sohn folgt. Sondern weil Du mir nahe stehst. Nahe und doch so fern.

    Wenn man’s richtig bedenkt, ist es verwunderlich, dass rund die Hälfte des Stimmvolks an der bevorstehenden Wahl teilnimmt. Denn die Wahlverweigerer sind keinesfalls dümmer oder fauler, vielleicht sogar schlauer.

    Nahe stehst Du mir, weil ich mit Dir einig bin: Es kommt nicht darauf an, ob ich wählen gehe oder nicht. In meinen 40 Jahren als Stimmbürger habe ich noch nie erlebt, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Wenn ich stimmen ging, hatte ich keinen Einfluss auf das Ergebnis. Wenn ich einen Urnengang verpasste, krähte kein Hahn danach. Selbst beim knappsten Resultat, das ich je in Basel erlebte, gaben mehr als 50 Stimmen Unterschied den Ausschlag.

    Fern stehst Du mir, weil ich mein Stimm- und Wahlrecht fast immer ausübe. Meistens fülle ich die Zettel am gleichen Tag aus, an dem sie kommen. Und dann ab die Post, ohne Stress zum nächsten Briefkasten. Heute ist der letzte Tag, an dem dies noch möglich ist für die Parlamentswahl 2012.

    Es ist mir selbst unerklärlich, weshalb ich das tue, immer wieder. Mein Verhalten ist komplett irrational. Es ändert ja nichts. Es sieht’s ja keiner. Ich kann mich sogar als Wähler ausgeben, ohne einer zu sein. Was treibt mich denn dazu, mein Aktivbürgertum nicht nur zu behaupten, sondern tatsächlich auch zu leben? Und viele andere auch?

    Wenn man’s richtig bedenkt, ist es verwunderlich, dass rund die Hälfte des Stimmvolks an der Wahl teilnimmt. Verständlich ist hingegen, dass so viele wahlabstinent sind. Die Wahlverweigerer sind keinesfalls dümmer oder fauler, vielleicht sogar schlauer. Sie verlassen sich auf die andere Hälfte der Berechtigten: Ginge diese auch nicht hin, wäre keine Wahl mehr möglich. Dann lebten wir in einer Diktatur.

    Wählen zu gehen, ist also ein Akt der Solidarität. Nicht mit dem Staat und auch nicht mit den bedauernswerten Kandidierenden, sondern mit allen, die nicht wählen gehen. Ich tue es für Dich, liebe Nichtwählerin, lieber Nichtwähler! Und erwarte auch Deinen Dank. Aber bleibe ruhig zuhause, so hat meine Stimme mehr Gewicht. Ich treffe die Wahl zwischen neoliberal und sozial, zwischen national und multikulturell, zwischen reaktionär, konservativ und aufgeklärt, zwischen konstruktiv und destruktiv, melonen- und gurkengrün. Ich gebe die Richtung vor!

    Ich? Es kommt doch nicht darauf an. Meine Stimme gibt nie den Ausschlag. Es ist mein Mitgefühl, das mich an die Urne treibt. Niemand soll in einer Diktatur leben müssen, auch Nichtwählende nicht. Bleibe ruhig zuhause, meine Freundin, mein Freund, sonst verliere ich die Motivation, das Stimmcouvert einzuwerfen. Wehe, Du wählst jetzt noch! Dann hätte ich es eben so gut lassen können.