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Kulturwandel für Nachhaltigkeit

Schlagwort: Wahlen

  • Die SVP führt uns in die EU

    Basel-Stadt ist wohl von allen Deutschschweizer Ständen der EU-freundlichste Kanton. Theoretisch müssten wir uns deshalb freuen, dass die SVP unser politisches System in einem entscheidenden Punkt den meisten europäischen Staaten anpassen will: Sie möchte die Volkswahl der Regierung einführen. Kommt die Rechtspartei Ende Jahr mit ihrem Volksbegehren durch, würden Blochers Jünger das ausgeklügelte Gleichgewicht zwischen Regionen und Parteien aus den Angeln heben, das bisher die Bundesratswahlen prägte. Ohne äusseren Zwang würden wir mit EU-Sitten und Gebräuchen gleichgeschaltet.

    Die SVP will die Volkswahl der Regierung. Und sie unterwirft ihre Fraktionsmitglieder der Parteidoktrin. Ganz nach dem Vorbild vieler Europäischer Regierungssysteme. Ist die SVP heimlich auf EU-Kurs?

    Nationale Wahlkampagnen im Stile von Deutschland oder Frankreich wären die Folge – mit allen Personifizierungen, demagogischen Akzenten und unterhaltsamen TV-Debatten. Ein weiterer Effekt wäre die zusätzliche Polarisierung von Politik und Parteienlandschaft. Rot-grün-christliche Koalitionen würden sich abwechseln mit konservativ-bürgerlich-grünliberalen Regierungen. Faktisch hätten wir ein Zweiparteiensystem mit Beigemüse.

    Die SVP-Initiative schlägt die Wahl des Bundesrates nach dem Majorzsystem vor, wobei je ein Sitz für die Romandie und das Tessin reserviert wären. Die Chancen der Nordwestschweiz, in einer solchen Regierung vertreten zu sein, würden gegenüber heute nochmals deutlich geschmälert. Denn die Nominationen der fünf Deutschschweizer Sitze würden sich auf Persönlichkeiten konzentrieren, die aus den bevölkerungsreichen Kantonen stammen, um deren Wahlchancen zu erhöhen.

    Ganz entgegen der aktuellen SVP-Doktrin würde die Volkswahl des Bundesrates die Zentralmacht stärken und damit den Föderalismus in Frage stellen. Auch hier käme es zu einer Annäherung an das System, das in den meisten EU-Ländern gilt.

    Um bis zu einem allfälligen Erfolg ihres Volksbegehrens nichts anbrennen zu lassen, hat die SVP intern bereits vorgesorgt. Sie bestimmt nämlich seit 2008 in ihren Parteistatuten, dass ein gewählter, aber nicht offiziell von der SVP-Fraktion nominierter SVP-Bundesrat bei einer Wahlannahme automatisch aus der Partei ausgeschlossen wird. Diese Bestimmung degradiert die Vereinigte Bundesversammlung zum erpressbaren Kopfnicker-Gremium. Wenn der Rat nicht den offiziellen SVP-Kandidaten wählt, ist halt kein SVP-Vertreter mehr im Bundesrat.

    Diese Zwangsjacke verstösst gegen das Instruktionsverbot der Bundesverfassung. Auch hier führt uns die SVP in europäische Gefilde. Im Deutschen Bundestag beispielsweise, können Abgeordnete von ihren Fraktionsleitungen verpflichtet werden, nach der Parteidoktrin zu stimmen, auch wenn sie persönlich anderer Meinung sind. Das ist dort Teil des Systems. Was die SVP tun würde, wenn nicht das Parlament, sondern das Volk den Falschen aus ihren Reihen wählen würde, ist bis dato unbekannt.

  • Das KISS-Prinzip

    Neulich in einem Plattenladen. Ja, Sie haben richtig gelesen: In einem Plattenladen. 20 Meter Plattengestelle, wie in den 70er-Jahren. Und davor Menschen jeden Alters. Eine LP kostet fast 30 Franken, viel mehr als eine CD oder das Herunterladen der gleichen Musik aus dem Internet. Aber die Scheibe ist zum Anfassen hat Gewicht, im wörtlichen Sinn. «180 Gramm Vinyl!» verspricht ein Aufkleber.

    Platten boomen. Denn die Menschen sehnen sich nach einer konkret fassbaren Welt. Das haben auch Basler Wahlkämpfer erkannt. Sie wollen mit «neuer Einfachheit» punkten. Doch von «einfach» zu «hohl» ist es oft nur ein kleiner Schritt. (Bild: Daniel Wiener)

    Es ist  Musik von früher. Leonhard Cohen, ABBA, Beatles, Jonny Cash. Aber auch Musik von heute. Beispielsweise das Album «21» von Adele, Jahrgang 1988. Alles ist neu produziert, eingeschweisst. Und die Kollektion wächst täglich. Ein 14-jähriger antwortet auf die Frage, weshalb er gleich drei dieser teuren Scheiben kauft: «Es tönt einfach besser.»

    Der Drang zum Vinyl ist Ausdruck einer Sehnsucht nach dem Einfachen, Handfesten. Die digitale Kulisse, in der wir leben, überfordert uns mit stets neuen Gadgets, Apps und einem komplizierten Alltag. Der Mensch jedoch, ist analog wie eine LP. Manche verabschieden sich von Facebook. Dafür kaufen sie die neue Zeitschrift «A Simple Life». Das erdig-braun gefasste Heft hat vier Teile, die für sich selbst sprechen: Antiquitäten, traditionelles Wohnen, Geschichte und Museen.

    Solche Stimmungen wirken sich auch auf die Wahlen aus. Die Öffentlichkeit will anscheinend simple Botschaften. Zum Beispiel: «Mehr Sicherheit für Basel-Stadt.» Dabei ist es egal, wie ein Kandidat dieses Ziel erreichen will. Hauptsache, er hält sich an das angelsächsischen KISS-Prinzip: «Keep It Simple, Stupid.»

    Slogans scheren sich nicht um die Realität. Sie vermitteln Träume. Zum Beispiel: «Für ein Basel mit sicheren Finanzen, sicheren Arbeitsplätzen, sicheren Strassen und sicheren Plätzen.» Ich habe die Webseite des betreffenden, freisinnigen Kandidaten nach Ideen durchforstet, wie er diese Ziele erreichen will. Zu jedem der vier Stichworte gibt es etwa drei Sätze. Diese sind komplett frei von Fakten oder Analysen. Und so allgemein, dass sie jeder Sozialdemokrat unterschreiben könnte.

    Ein Slogan ohne konkretes Programm dahinter signalisiert: Ich weiss, wie es geht. Ich nehme Euch die Sorgen ab. Schlau erdachte oder aufwändig erarbeitete Konzepte interessieren sowieso niemanden. Wenn Ihr mich wählt, könnt Ihr Euch wieder getrost Eurer Plattensammlung widmen.

    Meine Stimme gebe ich Kandidierenden, die das Volk auch zwischen den Wahlen in Entscheidungen einbeziehen. Weil sie wissen, dass Politik nur mit Argumenten und im Dialog mit den Betroffenen erfolgreich ist. Auf die komplexen Probleme unserer Zeit gibt es keine einfachen Antworten. Sondern nur differenzierte, analoge, mit einem gelegentlichen Rauschen und Kratzen im Hintergrund, wie auf einer LP.

  • Sag mir, was Du trinkst

    Journalistenkollege Michael Bahnerth hat ein bahnbrechendes System erfunden, das definitiv niemanden mehr überfordert: Die Trinkgewohnheiten der Politiker entscheiden über ihre Wahl. Wer, wie Regierungspräsident Guy Morin, in Moskau lieber Grüntee trinkt als Wodka, gehört vom Volk als Softie abgestraft: Er ist ein «König ohne Macht». So das Fazit von Bahnerths Frontgeschichte in der letzten Sonntags-BaZ.

    Sag mir was Du trinkst, und ich sage Dir, wer Dein Polit-Held ist. Ein neuartiges, geniales System ist im Begriff, unsere politische Landschaft umzukrempeln. Selbst der Harassenlauf (Bild) entpuppt sich als Wahlkampf pur. (Bild: Dominik Plüss)

    Der Gedanke ist genial: All die komplizierten Angebote im Internet, die uns beistehen sollen bei der richtigen Entscheidung, werden überflüssig. Sorry «smartvote» und zum Teufel mit Politbarometern wie «vimentis.ch». Der Schlüssel zum Verständnis eines Magistraten ist sein bevorzugtes Getränk.

    Grüne trinken also laut Bahnerth Grüntee. Grünliberale wahrscheinlich Pepita. Sozialdemokraten bevorzugen aufgrund der Farbe Campari. Damit ist endlich entlarvt, wohin diese Partei schon lange driftet: Sie ist vom Arbeiter-Bündnis zur Intellektuellen-Clique mit Cüpli-Allüren verkommen.

    Die SVP hingegen trinkt Bier. Nein, pardon, die BDP trinkt Bier, ihre Grundfarbe ist ja gelb (und der Harassenlauf wohl ihre wichtigste Demo). Was trinkt demnach die SVP? Es ist ein gut gehütetes Geheimnis, aber die Parteifarbe bringt es auch hier an den Tag: Grün. Also Absinth. Die «grüne Fee» verursacht laut Wikipedia «Schwindel, Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Depressionen, Krämpfe, Blindheit sowie geistigen und körperlichen Verfall». Da haben wir’s! Vor allem Schwindel und Krämpfe gehören in der SVP zum täglichen Brot.

    Bei der FDP habe ich lange recherchiert. Dann bin ich auf Coca-Cola gestossen: Die amerikanische Limonade erinnert FDP-Mitglieder wehmütig an die Zeiten, als sie noch ungestraft in den USA Steuerhinterzieher anlocken durften.

    Katholischer Tradition entspricht, dass die CVP Wasser predigt, aber Wein trinkt. Die Basta ist ein Basler Sonderfall, aber Wodka trinken auch die Linken nicht. Da haben sie sich allzu sehr von Moskau emanzipiert – oder umgekehrt. Vielleicht Tequila oder Bacardi? Wahrscheinlich eher Bio-Süssmost. Bald vertrocknet sind die Liberalen, da sie am liebsten gar nichts trinken.

    Für die Wählerinnen und Wähler ist die Welt einfacher geworden: Voten Sie für Ihr Lieblingsgetränk! Sag mir was Du trinkst, und ich sage Dir, wer Dein Polit-Held ist. Unter dem Strich kommt es vielleicht auf dasselbe hinaus wie heute, erspart aber viele Mühen und Auseinandersetzungen mit Inhalten. Fatal wäre allerdings, wenn das Volk sich irrte, wie Michael Bahnerth: Guy Morin mag nämlich keinen Grüntee. Was er hingegen liebt, ist Verveine, auf Deutsch Eisenkraut. Perfekte Tarnung: Hinter dem Grüntee-Softie lauert der stahlharte Macho! Putin zittere! Das Beispiel zeigt: Auch bei der Anwendung des neuen Systems kommen wir nicht um präzise Recherchen herum.