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Kulturwandel für Nachhaltigkeit

Schlagwort: Velo

  • Die Stadt, die Dichte und die Zeit

    Städtevergleiche sind eine ergiebige Quelle für neue Erkenntnisse. Das gilt ganz besonders für den soeben erschienenen «Städtevergleich Mobilität» zwischen Basel, Bern, Luzern, St. Gallen, Winterthur und Zürich. Er zeigt, wie verschiedene Medien schon berichtet haben, dass Basel eine Velostadt ist: 16% aller Wege legen wir mit dem Fahrrad zurück. Auf dem zweiten Platz liegt Winterthur mit 13%. Bronce geht an Bern mit 11%. Den geringsten Anteil Veloverkehr hat St. Gallen (3%). Auf dem zweitletzten Platz ist Zürich (6%).

    Der städtischen Dichte verdankt jede Baslerin und jeder Basler im Vergleich zu Zürich eine zusätzliche Ferienwoche pro Jahr. Und das ist nicht die einzige verblüffende Erkenntnis aus der neusten Mobilitäts-Statistik.

    Die grossen Unterschiede rufen nach Ursachenforschung. Auch wenn die Topographie eine Rolle spielen mag, ist doch die Politik, in diesem Fall die Fahrrad-Förderung, ein ganz zentraler Faktor, der langfristig seine Wirkung nicht verfehlt. In Basel fuhr schon in den 70er-Jahren die Mehrheit der damals noch bürgerlichen Regierung mit dem Velo ins Büro und anerkannte die zweirädrige Fortbewegungsweise als stadtgerechte Mobilität. Daran orientierten sich in der Folge die Gesetzgebung und die Investitionen.

    Tiefere Analysen des Zahlenwerks bringen noch weitere verblüffende Erkenntnisse an den Tag: Zum Beispiel, dass Basels Mobilität insgesamt sogar umweltschonender ist als jene der Vorzeigestadt Kopenhagen. Addiert man nämlich die Wege, die wir zu Fuss gehen (37%), mit Tram und Bus zurücklegen (27%) und auf dem Velosattel fahren (16%), kommen wir auf 80% aller Strecken. In Kopenhagen liegt der umweltschonende Anteil bloss bei 70%. Die Kopenhagener fahren zwar viel mehr Velo als wir (36%). Sie gehen aber nur selten zu Fuss (7%) und steigen viel häufiger ins Auto (30% Anteil im Vergleich zu 18% in Basel).

    Weshalb ist das zu Fuss gehen in Basel so populär? Der Städtevergleich gibt auch darauf eine Antwort, die einleuchtet: Die Bevölkerungsdichte in der Stadt Basel ist mit 6800 Einwohnerinnen und Einwohner pro Quadratkilometer um ein Drittel höher als in Zürich, wo 4200 Menschen auf der gleichen Fläche wohnen.

    Der Dichteunterschied bringt’s: Eine Dichte Stadt führt zu kürzeren Wegen. Diese können dann auch eher zu Fuss oder mit dem Fahrrad zurückgelegt werden. Das zeigt sich auch im Zeitmass: In Basel sind die Menschen pro Tag 91 Minuten unterwegs, in Zürich 101 Minuten. Wer in Basel lebt, spart im Vergleich mit Zürich täglich 10 Minuten Wegzeit. Wir sind also durchschnittlich schneller am Ziel. Auf die ganze Bevölkerung hochgerechnet, entspricht der Zeitgewinn täglich 2000 (wachen) Tagen mehr Freizeit oder Arbeitszeit – jeder und jede hat die Wahl. So kommen jährlich 730 000 Tage zusammen. Und das entspricht einer zusätzlichen Ferienwoche für alle! Das ist die wahre Produktivität der dichten Stadt.

  • Masse und Moral

    Anfangs der 80-er Jahren war Basel eine Schmutzstadt: Ein Schwumm im Rhein bescherte Ausschläge, ein Schluck daraus Durchfall. Die Luft war geschwängert von Abgasen aus Autos, Heizungen und Chemie. Einziger Trost: «Littering» gab es damals weder als Tätigkeit noch als Begriff.

    Von einer velogerechten Stadt ist Basel noch weit entfernt. Auf der anderen Seite begrün-det Velofahren auch keine Vorrechte mehr. Die höhere Moral der Pedaleure ist jetzt an ihr rücksichtsvolles Verhalten gebunden.

    Wenn füllige Regierungsräte morgens ins Büro strampelten, anstatt das Auto zu nehmen, war das noch eine Schlagzeile samt Zeitungsfoto wert. Das Rad erlaubte es auch älteren Semestern Eigenschaften wie Jugendlichkeit, Sportsgeist und Individualismus zur Schau zu tragen. Der Velofahrer war ein sauberer, ja, mutiger Musterbürger. An der Umweltmisere trug er keinerlei Schuld. Und er war frei.

    Frei beispielsweise, die Verkehrsregeln zu missachten. Denn die moralische Überlegenheit des Velos war im Vor-Katalysator Zeitalter so offensichtlich, dass ihm andere Verkehrsteilnehmer, insbesondere motorisierte, schuldbewusst den Vortritt liessen.

    Aus dieser Periode stammt die Mentalität, die eine Minderheit der Radler noch heute beseelt: Ein Fahrrad darf alles. Links und rechts überholen, irgendwo rasch abbiegen, bei Rot über die Kreuzung, auf dem Trottoir und auf Spazierwegen rasen. Wem fiel das schon gross auf, bevor das Velofahren als «Biken» so richtig in Mode kam?

    Meine Kolumne von letzter Woche über die Velo-Parkplatznot löste eine Flut von Tiraden über frech flitzende Zweiräder aus. Ein Muster: «Vielmehr würde mich freuen, wenn Sie über die Verwilderung auf Basels Strassen durch die Velofahrer schreiben würden.» Bitte sehr: Wenn eine Pioniertat zum Massenphänomen mutiert, sind neue Normen nötig. So gelten seit es Stau gibt am Mount Everest andere Regeln als bei der einsamen Erstbesteigung durch Edmund Hillary und Sherpa Tensing Norgay 1953.

    Neue Regeln sind nicht gleich bedeutend mit neuen Vorschriften. Die bestehenden Paragraphen genügen durchaus. Will das Fahrrad jedoch seine Vormachtstellung als bevorzugtes Stadtvehikel beibehalten oder gar ausbauen, müssen sich dessen Lenker neu orientieren. Ich plädiere nicht für sklavisches Befolgen des Strassenverkehrsgesetzes. Nachts um zwei Uhr stört es kaum, wenn ein Pedaleur angesäuselt und in die falsche Richtung die Freie Strasse hinauf hechelt. Aber nachmittags um zwei sehr wohl, wenn einer im Karacho hinunter blocht.

    Niemand war auf diesen Fahrrad-Boom vorbereitet. Aber jetzt, wo er erfreulicherweise da ist, müssen sich alle Beteiligten neu orientieren. Das gilt zunächst für die Basler Infrastruktur-Entwickler: Von einer velogerechten Stadt sind wir noch weit entfernt. Auf der anderen Seite begründet Velofahren auch keine Vorrechte mehr. Die höhere Moral der Radler ist jetzt an ihr Verhalten gebunden. Rücksicht ist ein kleines Opfer, das die Reisegeschwindigkeit kaum einschränkt und noch weniger den Genuss.

  • Basels wahres Parkplatzproblem

    Der Basler Bau- und Verkehrsdirektor Hans-Peter Wessels tut viel fürs Velo. Sein neuster Streich ist die soeben bekannt gegebene Ausdehnung der Tempo 30-Zonen. Diese befördern die Sicherheit und begünstigen den sogenannten Langsamverkehr, also Fahrräder und Fussgängerinnen. Wobei das Wort Langsamverkehr trügt. Die Zweiräder sind nicht nur in Basel, aber speziell in Basel, die schnellsten Fortbewegungsmittel.

    In Zukunft werden Veloparkplätze noch knapper. Und das Problem betrifft nicht nur die Fahrradfahrenden selbst, sondern auch alle anderen Verkehrsteilnehmer. Ihnen stehen parkierte Velos schlicht im Weg.

    Dabei denke ich nicht an die wachsende Anzahl «Töffs» aller Art (vom Mofa bis zur Bolide), sondern an die ganz normalen Velos: Sie sind günstig in der Anschaffung und gratis bei Steuern und Versicherung. Schnell sind sie vor allem deshalb unterwegs, weil sie zuhause rasch hervorgeholt und am Zielort rasch geparkt sind. Und weil Basel flach ist – mit Ausnahme des Bruderholzes.

    Das schnelle Parken macht nicht nur den Zauber des Velofahrens aus – es ist zum Problem geworden. Wir sehen besonders bei schönem Wetter vor lauter Velos die Stadt nicht mehr. Sie sind im Weg und die legalen Parkfelder quellen über: Gestern Mittag beispielswiese, waren am Barfüsserplatz gleich viele Velos in Parkfeldern abgestellt wie nebendran. Diese aus der Not geborenen Sitten greifen auch auf Vespas und schwere Motorräder über, denn das Vergehen wird kaum gebüsst.

    Es wäre auch sinnlos, Bussen zu schreiben. Während halb Basel über den Mangel an Autoeinstellhallen klagt, betrifft das wahre Parkplatzproblem die Velofahrer. Das Elisabethen- und das Steinenparking beispielsweise, sind nur wenige Stunden im Jahr, während der vorweihnachtlichen Abend- und Sonntagsverkäufe, voll belegt. Die Parkplatznot der Fahrräder ist hingegen notorisch, vor allem im Sommer.

    Zaghafte Projekte, diesem Mangel abzuhelfen, gibt es im Umkreis der Bahnhöfe. In den Zentren der Quartiere und speziell in der Innenstadt dauert das Malaise an. Glücklicherweise will der Kanton das Velowegnetz weiter verdichten. Die Verkehrspolitik möchte zudem Pendlerinnen und Pendler, die etwa aus Lörrach, Oberwil oder Pratteln in die Stadt fahren, mit Hilfe von «Veloautobahnen» zum Pedalen animieren. Denn die eigene Muskelkraft bewegt uns nicht nur gesünder, sondern auch umweltfreundlicher als Tram und Bus, ganz zu schweigen vom Auto.

    Das bedeutet: In Zukunft werden Veloparkplätze noch knapper. Und das Problem betrifft nicht nur die Fahrradfahrenden selbst, sondern auch alle anderen Verkehrsteilnehmer. Ihnen stehen parkierte Velos schlicht im Weg. Noch dringender als ein neues Autoparking beim Kunstmuseum braucht Basel zusätzliche Parkiermöglichkeiten für Velos – sei es mit doppelt so vielen Feldern an geeigneter Stelle oder durch den Bau attraktiver Veloparkings, auch in der Innenstadt. Nur so bleibt der Langsamverkehr auch in Zukunft Basels Schnellverkehr.