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Kulturwandel für Nachhaltigkeit

Schlagwort: Sicherheit

  • Erdrutschsieg der Linken

    Ginge es nach Markus Somm, diskutierten wir beim Wahlkampfthema öffentliche Sicherheit nicht über Polizei oder Prävention. Es ginge ausschliesslich um unser Menschenbild. Der BaZ-Chef konstruiert in dieser Frage einen ideologischen Krach zwischen Sozialdemokraten und Bürgerlichen (BaZ vom 1. September 2012). Die Linken sähen Straftaten zu Unrecht als Ausdruck gesellschaftlicher Fehlentwicklung. Die Rechten hingegen, würden das Böse effizient eliminieren, indem sie möglichst alle Täter wegsperrten.

    Sozialer Ausgleich ist die beste Prävention gegen Kriminalität. Das sehen auch die meisten Bürgerlichen so. Müsste man ein Linker sein, um diese Politik mit zu tragen, käme es bei den Basler Wahlen am 23. September zu einem sozialdemokratischen Erdrutschsieg. Das ist aber kaum zu erwarten. (Bild: Keystone)

    Dieser Gegensatz ist gekünstelt. Das Entsetzen über den Holocaust hat seit dem Zweiten Weltkrieg unzählige literarische und wissenschaftliche Recherchen über den Ursprung von Verbrechen ausgelöst. Zwar kennen wir noch nicht alle Details. Aber wir wissen inzwischen viel mehr, als uns Somm weismachen will.

    Angst und Aggression, zwei überlebenswichtige Reflexe, wirken bei Straftaten zusammen. Das gilt für Kleinkriminelle und Mörder ebenso wie für geldgierige Banker. Auch die Gene und frühere Erfahrungen entscheiden von Fall zu Fall mit, wie ein Mensch in bestimmten Situationen reagiert. Ausschlaggebend sind jedoch die Gelegenheit, die Diebe macht, und die gesellschaftliche Stellung des Täters.

    Zum Glück wuchs Markus Somm in der Schweiz als Sohn eines wohlhabenden Managers auf. Das gab ihm materiell hervorragende Startchancen. Wäre er in ein armes Elternhaus hineingeboren worden, hätte er ein paar zusätzliche Hürden überwinden müssen, um schliesslich ein unbescholtenes, finanziell sorgloses Leben führen zu können. Noch etwas dorniger wäre sein Lebensweg geworden, wenn zur familiären Armut noch ein harter Schicksalsschlag hinzugekommen wäre, zum Beispiel die Flucht aus einem Kriegsgebiet. Aber auch dann hätte der Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär gelingen können.

    Denn eine offene, soziale Gesellschaft, die Leistung honoriert, unterstützt diesen Aufstieg. Ob ich Angst und Aggression konstruktiv oder destruktiv einsetze, hängt davon ab, wie mir die Gesellschaft in kritischen Lagen entgegen kommt. Je unüberbrückbarer die sozialen Unterschiede erscheinen, umso höher ist die Zahl der potenziell Unzufriedenen, Verzweifelten und Kriminellen. Das illustrieren Beispiele wie Rio de Janeiro, Süditalien oder Johannesburg.

    Daher setzen die Schweiz und Basel in der Vorsorge gegen Verbrechen nicht nur auf Repression, sondern mithin auf persönliche und politische Solidarität. Diese Haltung teilen auch bürgerliche Kreise. Sie haben somit, laut Markus Somm, ein sozialdemokratisches Menschenbild. Würden sie entsprechend wählen, käme es am 23. September zu einem linken Erdrutschsieg. Doch zum Glück ist eine differenzierte Denkweise in diesen Fragen auch mit bürgerlichen Idealen vereinbar. Und so bleibt die Ausgangslage spannend.

  • Einspruch, Herr Bundesrat!

    Bundesrat Ueli Maurer beeindruckte die Eröffnungsgäste der muba durch rhetorische Brillanz. Viele Zuhörerinnen und Zuhörer mussten ihr Vorurteil revidieren, wonach der SVP-Magistrat kaum drei Wörter aneinanderreihen kann. Seine 15-minütige, frei gehaltene Rede kreiste um die Stichworte Sicherheit, Wettbewerb und Freiheit.

    Je freier die Marktwirtschaft, umso wichtiger ist das Regelwerk zum Schutz der Schwächeren. Generell gegen Gesetze wettern nur jene, die aufgrund ihrer Machtposition keines Schutzes ihrer Freiheit bedürfen. Eine Replik auf Ueli Maurers muba-Eröffnungsrede. (Bild: Keystone)

    Sicherheit ist sein Beruf. Als Chef der Armee verkaufte er mit diesem Schlagwort die Leistungen seines Departements. Angesichts des vielfältigen Angebots an der muba kam ihm der Wettbewerb in den Sinn, der dieses bunte Gemisch an Waren und Dienstleistungen erst ermöglicht habe.

    So weit so gut.

    Das Thema Freiheit bezog Mauerer direkt auf die Regelungsdichte, die den Wettbewerb behindere und damit einen Schweizer Erfolgsfaktor torpediere. Der Zürcher beklagte, dass Bundesbern allein im letzten Jahr neue Gesetzestexte, Reglemente und Richtlinien im Umfang von 6500 Seiten veröffentlicht habe. Auch 2012 sei man mit bisher 1500 Seiten schon auf rekordverdächtigem Kurs. Den Anteil des Militärs an diesem stolzen Werk verriet er allerdings nicht.

    Als Gegenstände der beargwöhnten Regulierung nannte der Bundesrat unter anderem den Jugendschutz, den Artenschutz und den Klimaschutz, die er gnädig mit dem Attribut «sympathisch» bedachte. Sympathisch, aber überflüssig, wie er suggerierte: Die Freiheit sei durch solche Staatstätigkeit bedroht.

    Diese Argumentation erntete tosenden Beifall von den 400 anwesenden Honoratioren aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft, Armee und Medienwelt, die Messepräsident Ueli Vischer zuvor, traditionsgemäss langatmig, begrüsst hatte. Es ist Mode, weniger Gesetze und weniger Bürokratie zu fordern. Dasselbe tut die Initiative der Freisinnigen Partei, die letzte Woche eingereicht wurde.

    Der Applaus der muba-Eröffnungsrunde macht Maurers Aussagen nicht wahrer: Es ist ein Mythos, dass Gesetze per se auf Einschränkungen abzielen. In vielen Fällen sichern sie die Freiheit des Einzelnen. Ebenso oft setzen sie der Staatsmacht Grenzen. Gesetzlos sind nur die Anarchie und die Diktatur. Ein starkes Regelwerk zum Schutz der Schwächeren ist Grundlage und Rahmen jeder Marktwirtschaft. Generell gegen Gesetze wettern nur jene, die aufgrund ihrer Machtposition keines Schutzes ihrer Freiheit bedürfen.

    Doch selbst hier gibt es keine Regel ohne Ausnahme: Ueli Maurer kritisierte die Aufweichung des Bankgeheimnisses als weiteres Indiz für die Einschränkung von Freiheiten. Rückfrage des einfachen Bürgers: Füllen die Regeln, die das Bankgeheimnis festschreiben, nicht auch Hunderte wenn nicht Tausende von Seiten? Und ist es nicht die SVP, die diesen Grundsatz gar in der Verfassung verankert sehen möchte? Auf diesen Paragraphen, Herr Bundesrat, können wir gerne verzichten.

  • La ballade des gens heureux

    Gerhard Lips findet es normal, dass Menschen spontan auf Strassen und Plätzen festen. Selbst wenn Hunderte zusammentreffen oder gar Tausende, wie bei einer Meisterfeier, braucht es dafür nach Ansicht des Basler Polizeikommandanten weder eine Bewilligung noch ist das ein Sicherheitsproblem. Die blosse Bildung von feucht-fröhlichen Menschentrauben zu beargwöhnen oder gar zu bekämpfen, würde in der Tat einen Polizeistaat wie in Weissrussland bedingen.

    Die von Regierungsrat Carlo Conti (im Bild ganz rechts) geforderte Orientierung an Potenzialen (neue Wohnungen, „Life Sciences“, Kulturstadt) ist für Basel gut und wichtig. Ein zentraler Vor-satz für 2012 müsste jedoch lauten, wieder einmal die Defizite der Stadt genauer unter die Lupe zu nehmen und Strategien für die Leidtragenden umzusetzen.

    Dennoch erschallt in solchen Fällen vermehrt der Ruf nach «Ruhe und Ordnung». Das wachsende Unbehagen steht auch im Zusammenhang mit Gewaltakten gegen willkürlich herausgegriffene Opfer auf der Strasse. Ein drittes Phänomen, das manche beschäftigt, ist der Themenkomplex «Littering», Schmierereien und Vandalismus. In der Weihnachtszeit spitzten sich überdies gefährliche Konflikte im Verkehr zu. Laut Bevölkerungsbefragung fühlen sich die Menschen unsicherer als früher.

    Wenn der öffentliche Raum zur Kampfzone wird, ist dies ein Warnsignal für den Zustand der Gesellschaft. Je stärker die kommerzielle Nutzung des öffentlichen Raums dominiert, um so mehr drängen Benachteiligte mit störendem oder illegalem Verhalten auf den Marktplatz der Aufmerksamkeit. Die tiefer liegende Ursache des Aufruhrs ist jedoch die wachsende Diskrepanz zwischen oben und unten, zwischen politisch, wirtschaftlich und kulturell Beteiligten und Personen, die aussen vor bleiben.

    Das Ventil der Unrast lässt sich nur beschränkt mit polizeilichen Mitteln abdichten. Gesellschaftliche Polarisierung führt speziell wenn Krisen drohen zu Hass und Häme. Sozialer Ausgleich war die Grundlage der früher sprichwörtlichen Basler Toleranz und Gelassenheit. Auf dieses Kerngeschäft sollten sich die Sozialdemokraten besinnen, wenn sie sich in der Sicherheitspolitik engagieren wollen. Als Regierungsrat Carlo Conti letzten Montag, am Neujahrsempfang der Basel-Städtischen Exekutive, von «verhältnismässig kleinen» Problemen sprach, täuschte er sich.

    Zwar gibt es eine breite, wohlhabende Ober- und Mittelschicht, die mit dem Französischen Barden Gérard Lenorman das Lied der glücklichen Menschen («La ballade des gens heureux») singt. Daneben wächst aber die Zahl der Unzufriedenen. Dieser Gruppe zuzuhören, ihre Sorgen und Nöte, die nicht nur materieller Art sind, aufzugreifen, würde Zeit und ein wenig vom wachsenden Bruttosozialprodukt kosten. Dies lohnte sich jedoch, um die Stadt wirklich ganzheitlich zu entwickeln. Die Orientierung an Potenzialen (neue Wohnungen, «Life Sciences», Kulturstadt) ist gut und wichtig. Ein zentraler Vorsatz der Regierung für 2012 müsste jedoch sein, wieder einmal die Defizite Basels genauer unter die Lupe zu nehmen und Strategien für die Leidtragenden umzusetzen.