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Kulturwandel für Nachhaltigkeit

Schlagwort: Guy Morin

  • Zonenplan ade?

    Rechtssicherheit, Investitionssicherheit, Planungssicherheit – all dies und noch viel mehr leiten wir traditionell vom Zonenplan ab. Der Zonenplan hält Flächen frei, für Verkehrswege, Plätze, Parks und weitere öffentliche Einrichtungen. Diese Funktion gilt es zu bewahren.

    Zonenpläne bilden ein starres Korsett und behindern in vielen Fällen eine standortgerechte Bebauung. Die weitgehende Abschaffung der Zonenpläne würde Qualität und Kreativität in die Stadtentwicklung bringen. (Visualisierung: Herzog & de Meuron)

    Auch wirtschaftlich gibt der Zonenplan den Ton an: Er bestimmt, welche Nutzungen auf welchen Parzellen möglich sind und legt damit auch den Wert einer Liegenschaft fest. Darauf gründen Pensionskassen ihre Anlagestrategien, planen Private ihre Vorsorge. In der Zone 4 gibt es vier Geschosse, in der Zone 3 deren drei. Und so weiter.

    Diese Zeiten sind vorbei. Wir sind daran, den Zonenplan umzudeuten. Er sagt nur mehr, welche Nutzung minimal zulässig ist. Was früher die Ausnahme war, wird auf grösseren Flächen bald zur Regel: Immer öfter haben Grundstückseigentümer eine ganz andere Idee, als der Zonenplan ihnen aufzwingen will. Sie wenden sich an die Behörden und erwirken, dass ihnen die Politik mit einem Bebauungs- oder Quartierplan mehr Volumen zugesteht, als der Zonenplan vorsieht.

    Das kann in manchen Fällen sehr sinnvoll sein. Etwa wenn es darum geht, bei einem Tramknotenpunkt eine verdichtete Bebauung mit Wohnhochhäusern zu ermöglichen. Oder Gewerbe mit Wohnen zu mischen, um Pendlerströme einzudämmen. Oder das Einkaufen in der Nähe eines Quartierzentrums zu ermöglichen.

    Diese Beispiele häufen sich. Und es fällt auf, dass die Bauträger meist grössere Konsortien, Pensionskassen, Versicherungen oder Aktiengesellschaften sind. Diese können die lange Durststrecke eines politischen Prozesses wirtschaftlich verkraften, um anschliessend die Früchte in Form einer höheren oder wertvolleren Nutzung zu ernten.

    Kleineren Hausbesitzern bleibt dieser relativ teure und riskante Weg verschlossen. So entsteht unter den Bauherren eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, die eine phantasievolle, kreative Stadtentwicklung behindert. Die Abschaffung der Zonenpläne – mit Ausnahme der Gebiete, die von öffentlichem Interesse sind – würde ein ganz anderes Bewilligungsverfahren ermöglichen. Dieses würde allen Liegenschaftseigentümern Anreize bieten, mehr Qualität zu bauen. Die Politik müsste Gremien bilden, die jeden Fall einzeln prüfen.

    Wenn nicht der Zonenplan massgebend wäre, sondern das beste Projekt in der jeweiligen Situation realisiert werden könnte, wäre als Ergebnis keineswegs eine hässlichere Stadt zu erwarten. Im Gegenteil, wir würden bald mehr innovative und inspirierende Gebäude, Strassenzüge und Quartiere erleben. Regierungspräsident Guy Morin hat mit seiner viel beachteten, programmatischen Rede zur Stadtentwicklung die Diskussion lanciert. Nicht nur in der Fläche, nicht nur in der Höhe, sondern auch in ihrer Qualität soll die Stadt sich wandeln dürfen.

  • Sag mir, was Du trinkst

    Journalistenkollege Michael Bahnerth hat ein bahnbrechendes System erfunden, das definitiv niemanden mehr überfordert: Die Trinkgewohnheiten der Politiker entscheiden über ihre Wahl. Wer, wie Regierungspräsident Guy Morin, in Moskau lieber Grüntee trinkt als Wodka, gehört vom Volk als Softie abgestraft: Er ist ein «König ohne Macht». So das Fazit von Bahnerths Frontgeschichte in der letzten Sonntags-BaZ.

    Sag mir was Du trinkst, und ich sage Dir, wer Dein Polit-Held ist. Ein neuartiges, geniales System ist im Begriff, unsere politische Landschaft umzukrempeln. Selbst der Harassenlauf (Bild) entpuppt sich als Wahlkampf pur. (Bild: Dominik Plüss)

    Der Gedanke ist genial: All die komplizierten Angebote im Internet, die uns beistehen sollen bei der richtigen Entscheidung, werden überflüssig. Sorry «smartvote» und zum Teufel mit Politbarometern wie «vimentis.ch». Der Schlüssel zum Verständnis eines Magistraten ist sein bevorzugtes Getränk.

    Grüne trinken also laut Bahnerth Grüntee. Grünliberale wahrscheinlich Pepita. Sozialdemokraten bevorzugen aufgrund der Farbe Campari. Damit ist endlich entlarvt, wohin diese Partei schon lange driftet: Sie ist vom Arbeiter-Bündnis zur Intellektuellen-Clique mit Cüpli-Allüren verkommen.

    Die SVP hingegen trinkt Bier. Nein, pardon, die BDP trinkt Bier, ihre Grundfarbe ist ja gelb (und der Harassenlauf wohl ihre wichtigste Demo). Was trinkt demnach die SVP? Es ist ein gut gehütetes Geheimnis, aber die Parteifarbe bringt es auch hier an den Tag: Grün. Also Absinth. Die «grüne Fee» verursacht laut Wikipedia «Schwindel, Halluzinationen, Wahnvorstellungen, Depressionen, Krämpfe, Blindheit sowie geistigen und körperlichen Verfall». Da haben wir’s! Vor allem Schwindel und Krämpfe gehören in der SVP zum täglichen Brot.

    Bei der FDP habe ich lange recherchiert. Dann bin ich auf Coca-Cola gestossen: Die amerikanische Limonade erinnert FDP-Mitglieder wehmütig an die Zeiten, als sie noch ungestraft in den USA Steuerhinterzieher anlocken durften.

    Katholischer Tradition entspricht, dass die CVP Wasser predigt, aber Wein trinkt. Die Basta ist ein Basler Sonderfall, aber Wodka trinken auch die Linken nicht. Da haben sie sich allzu sehr von Moskau emanzipiert – oder umgekehrt. Vielleicht Tequila oder Bacardi? Wahrscheinlich eher Bio-Süssmost. Bald vertrocknet sind die Liberalen, da sie am liebsten gar nichts trinken.

    Für die Wählerinnen und Wähler ist die Welt einfacher geworden: Voten Sie für Ihr Lieblingsgetränk! Sag mir was Du trinkst, und ich sage Dir, wer Dein Polit-Held ist. Unter dem Strich kommt es vielleicht auf dasselbe hinaus wie heute, erspart aber viele Mühen und Auseinandersetzungen mit Inhalten. Fatal wäre allerdings, wenn das Volk sich irrte, wie Michael Bahnerth: Guy Morin mag nämlich keinen Grüntee. Was er hingegen liebt, ist Verveine, auf Deutsch Eisenkraut. Perfekte Tarnung: Hinter dem Grüntee-Softie lauert der stahlharte Macho! Putin zittere! Das Beispiel zeigt: Auch bei der Anwendung des neuen Systems kommen wir nicht um präzise Recherchen herum.

  • «Dieser Zug ist abgefahren!»

    Roger Köppel, bekannt als scharfer Hund auf der rechten Seite des journalistischen Spektrums, kam nach Basel und liess sich die Zähne ziehen. Letzten Sonntag partizipierte er an der wöchentlichen Diskussionssendung «Salon Bâle» des Lokalfern­sehens Telebasel. Dazu war er eingeladen worden, weil er sich nach Fukushima furchtbar enerviert hatte über die «kollektive Kernschmelze der Vernunft» von Politikern. Bei Talkgast Guy Morin lief Köppel mit dieser Kritik ins Leere: «Als einziger Behördenvertreter», schmunzelte der basel-städtische Regierungs­präsident, «demonstrierte ich heute von Amtes wegen.» Dabei blickte er verliebt auf den «Atomkraft? – Nein Danke!»-Protestknopf an seiner Brust: «Wir haben hier einen Verfassungsauftrag, uns gegen AKW zu wehren.» Köppel gestand Morin zu, dass er aufgrund demokratischer Entscheide nicht anders handeln konnte. Der Journalist attestierte dem Grünen überdies, den Atomausstieg nicht erst seit gestern zu planen. Morin legte nach: «Wir reduzieren in Basel-Stadt – im Gegensatz zur Schweiz – den Stromverbrauch bei gleichzeitig höchstem Wirtschaftswachstum.»

    So musste der «Weltwoche»-Chef sein Glück bei Sabine Pegoraro versuchen. Die freisinnige Baselbieter Polizeidirektorin hatte weniger Grund zur Coolness: Ihrer Partei warf Köppel «wahnsinnigen Opportunismus» vor. «Nüchtern betrachtet» hätten in Fukushima nur ein paar Dieselgeneratoren versagt. Und schon würde die FDP «im Affekt» jämmerlich kippen. In Morins Windschatten überzeugte Pegoraro den Zürcher Hardliner von der historischen Notwendigkeit des Atomausstiegs: «Wir könnten eine Wette abschliessen, Herr Köppel, wie es aussehen wird in zehn Jahren. Ich glaube, die nächste Abstimmung über die Verlängerung einer AKW-Betriebsbewilligung wird klar negativ herauskommen. Dieser Zug ist abgefahren!» Mit Sonnenstrom aus dem Süden und Windenergie aus dem Norden könne die Schweiz gut leben. Autarkie sei ohnehin nicht möglich.

    Mit seinem breitesten Lächeln zog sich ein sichtlich entwaffneter Köppel aus der Affäre: «Die guten Sachen setzen sich immer durch», schloss er, und: «Man muss aber auf die Schwachstellen der Argumentation hinweisen.» Darin waren sich alle einig. Dies war keine gewöhnliche Diskussion, sondern die überzeugende Rückkehr von Basler Inhalten in die nationale Politik. Die Tauglichkeit von Lösungsansätzen der Nordwestschweiz für zentrale Herausforderungen wie die Energie- und Klima­zukunft der Schweiz wird in diesen Tagen in politischen Gremien, auf Podien und in unzähligen Sendungen unter Beweis gestellt. Damit stehen die Chancen gut, dass es profilierten Köpfen aus der Region– wie schon in den 70er- und 80er-Jahren – wieder gelingt, die eidgenössische Agenda mit zu prägen.