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Kulturwandel für Nachhaltigkeit

Schlagwort: Detailhandel

  • Eine Stadt, die Zeit hat

    René Kamm bedauert, dass Basel zu wenig attraktiv sei für Konsumorientierte. Insbesondere kritisiert der Messechef Strukturmängel im Angebot. Was er damit meint, ist die Schwierigkeit, die Stadt als Einkaufstourist zu verstehen.

    Basel ist die am wenigsten gestresste Stadt der Schweiz. Eine Stadt, deren Geflecht unverplante Zeit für persönlichen Austausch freisetzt, ist sozial stabiler, kulturell aktiver und politisch dynamischer. So kommen Ideen in die Welt.

    Tatsächlich ist die Orientierung für Ortsfremde nicht einfach. Luxusangebote funkeln bloss verhalten. Billigmeilen platzieren sich an unerwarteter Stelle – zum Beispiel an der Clarastrasse. Wer Spezielles, etwa Kunst, Möbel oder einen Computer sucht, muss jeweils Eingeweihte nach der angesagten Adresse fragen. Basel ist als Einkaufsstadt verwirrend. «Glatti, glaini Läädeli» beispielswiese, liegen überall verstreut: An der Feldberg- und Güterstrasse, in der Rheingasse oder in den Vorstädten Richtung St. Johann-, St. Alban- und Spalentor.

    Der gehetzte Besucher globaler Messen verlöre viel wertvolle Zeit, wollte er alle diese Orte abklappern. Effizienter erschliesst sich ihm das Konsumangebot mit einem Katzensprung an die Zürcher Bahnhofstrasse: Dort reihen sich die begehrten Gucci-Gadgets und Armani-Accessoires umstandslos auf. Und in Seitengassen lauern, Begleitfischen ähnlich, die persönlicheren Geschäfte. Geradezu bedrohlich wirkt dieses wohlformierte Verkaufs-Geschwader auf den versprengten Haufen des Basler Detailhandels.

    Dass René Kamm dies beklagt, ist nachvollziehbar. Aber ist es auch schlimm? Schauen wir die Geschichte zum Jahresende von einer anderen Seite an: Es ist doch erfreulich, dass Basel trotz zunehmendem internationalem Erfolg sich selbst bleibt. Unsere Vielvölkerstadt ist facettenreich statt nur oberflächlich zugänglich. Sie taugt für eine Langzeit-Beziehung, ohne je langweilig zu sein. Wer sich auf das Profil dieser Polis einlässt, bekommt ein grosses Geschenk: Mehr Zeit.

    Diesen Monat erschien eine Umfrage, die nachwies, dass Basel die am wenigsten gestresste Stadt der Schweiz ist. Das kann gut mit der gemässigten Konsumorientierung zu tun haben. Wer bedächtig einkauft, achtet auf Qualität, spart mehr, verschuldet sich weniger und muss auch weniger arbeiten. Der Sparbatzen vermittelt Sicherheit.

    Von der Stressarmut profitieren die tollen Cafés und Konditoreien: Dort setzen sich entspannte Stadtbummler hin, wenn sie sich spontan begegnen und gemeinsam den Augenblick geniessen wollen. Eine Stadt, deren Geflecht unverplante Zeit für persönlichen Austausch freisetzt, ist sozial stabiler, kulturell aktiver und politisch dynamischer. So kommen Ideen in die Welt.

    Basel ist überdies eine Stadt der kurzen Wege, des Fahrrades und des Trams. Auch damit sparen wir täglich wertvolle Minuten und Stunden, sei es beim Pendeln oder in der Freizeit. Halten wir es im neuen Jahr weiterhin so. Und für den Konsum ist trotzdem alles da. Fragen Sie im Zweifel einen Nachbarn.

  • Standortvorteil starker Franken

    Peter Malama ging unter die Demonstranten. Zunächst lancierte der Gewerbedirektor am basel-städtischen Gewerbetag, vor 650 Gästen in der Markthalle, Appelle an Politik, Gewerkschaften und Konsumenten. Seine Sorge galt dem Basler Detailhandel. Dieser leidet unter der Frankenstärke. In erster Linie wiederholte der Nationalrat Forderungen seiner Freisinnigen Partei, zum Beispiel nach Gewinnsteuersenkungen. Und er bat das Volk, zuhause einzukaufen.

    Gewerbedirektor Peter Malama protestiert gegen den Einkaufstourismus. Doch seine Argumente (Bild: Ausriss von Gewerbeverband-Flyer) greifen zu kurz. Unter dem Strich profitiert die Region Basel von der Frankenstärke.

    Am darauf folgenden Samstag verteilte Malama, in Anwesenheit herbestellter Medien, am Grenzübergang Riehen Richtung Lörrach Flugblätter an Auto fahrende Schweizerinnen und Schweizer. Er wollte die potenziellen Einkaufstouristen über die Folgen ihres Tuns aufklären.

    Es ist unbestritten, dass die Umwelt leidet, wenn jemand Dutzende von Kilometern mit dem Auto zum Einkaufen fährt. Das Argument ist Malama, der sich traditionell für ökologische Anliegen einsetzt, abzunehmen. Wenn er auch gegen den seit Jahrzehnten florierenden Tanktourismus in die Schweiz protestiert hätte, wäre die Aktion noch glaubwürdiger gewesen.

    Es ist auch richtig, dass der Basler Detailhandel leidet. Alle anderen Argumente des umtriebigen Politikers gelten vielleicht für das Mittelland, nicht aber für Basel und Umgebung. Wir profitieren hier vielfach vom harten Franken. Denn die Metropolitanregion bildet einen integrierten, grenzüberschreitenden Wirtschaftsraum:

    Zum Beispiel der Werkplatz: Die hiesige Wirtschaft produziert billiger, weil sie Grenzgängerinnen und Grenzgängern tendenziell tiefere Löhne bezahlt. Ein Arbeitsplatz in der Schweiz bleibt für diese Pendler dank günstigen Wechselkursen dennoch attraktiv.

    Zum Beispiel die Mieten: Da Haushalte ins billigere Elsass und nach Südbaden ausweichen können, bleiben die Mietpreise moderat, rund 500 bis 1000 Franken unter Zürcher und Genfer Niveau. Das gesparte Geld kommt zum Teil dem Detailhandel zugute.

    Zum Beispiel beim Einkaufen: Wer über die Grenze fährt (was auch per Fahrrad oder Zug möglich ist), streckt sein Einkommen und kann mehr sparen oder sich mehr leisten.

    Zum Beispiel die Volkswirtschaft: Unabhängig davon, ob ich in Basel oder Lörrach einkaufe, bleibt mein Geld im Wirtschaftskreislauf der Region. Die Familie des Deutschen Velohändlers gibt ihr Geld hier aus, nicht anderswo. Wenn Luzernerinnen oder Berner nach Hüningen einkaufen kommen, profitiert Basel mit. Es ist, als ob wir eine Freihandelszone geschaffen hätten, um den Regionalen Detailhandel anzukurbeln.

    In letzter Konsequenz müsste Peter Malama, statt an der Grenze Flugblätter zu verteilen, bei Konsumentinnen im Mittelland dafür werben, lieber Lörrach anzusteuern, anstatt Waldshut oder Konstanz. Das wäre echte regionale Wirtschaftsförderung.