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Kulturwandel für Nachhaltigkeit

  • «Dreilandi 2025» die nächste Expo

    Bischof Heinrich von Thun, der damalige Stadtregent, fällte um 1225 den wohl folgenreichsten Investitionsentscheid in der Geschichte Basels: Er liess die Mittlere Rheinbrücke errichten. Seither verbindet dieses Bauwerk nicht nur Gross- und Kleinbasel. Es steht auch sinnbildlich für eine weltoffene, auf friedlichen Handel und Wandel erpichte Polis. Die Integration von Menschen und Ideen aus allen Himmelsrichtungen, die Innovation als wirtschaftliche Triebfeder und die Pflege politischer Stabilität prägen seit dem Brückenschlag das Entwicklungsmodell Basels.

    Basel und die Region brauchen ein gemeinsames Projekt, um sich zu finden, aber auch, um sich auf die Landkarte zu setzen – zum Beispiel eine Expo 2025 zum 800-jährigen Jubiläum des Brückenschlags über den Rhein.

    Dieses Entwicklungsmodell könnte die nächste Landesausstellung inspirieren, denn es ist für die Schweiz im 21. Jahrhundert wegweisend. Am Vorabend des 2. Weltkriegs war es Zürichs Fluidum, die Besinnung auf eigene Stärken, die 1939 der nationalen Nabelschau ihren Stempel aufdrückte. Die Expo Lausanne 1964 markierte den Aufbruch der Schweiz in eine technikgläubige Wohlstandsgesellschaft.

    Anfangs dieses Jahrhunderts, an der Expo 2002, war angesichts mannigfaltiger sozialer und ökologischer Krisen Nachhaltigkeit die Lösung. Diese wurde seltsamerweise so verstanden: Am Ende musste die ganze Landschaft um Neuenburg, Murten, Biel und Yverdon wieder in den alten Zustand zurückversetzt werden – als ob nichts geschehen wäre.

    Die heutige Schweiz hat grösste Mühe mit der notwendigen Öffnung für Europa und die Welt. Sie hat Angst, unterzugehen, ihre Identität zu verlieren. Der Beitritt zur EU ist dabei eher eine Nebenfrage. Wichtig ist die tatsächliche Kooperation mit Partnern in der Nachbarschaft und in Übersee, wie sie die Wirtschaft zwar praktiziert, der durchschnittliche Bürger aber gerne ignoriert. Unter dem Motto «Weltoffene Schweiz» könnte Basel 2025 – zum 800-jährigen Jubiläum der Rheinbrücke – die Schweiz und die Welt zur nächsten «Landi» einladen. Gemeinsam mit den Nachbarn würde sogar eine «Dreilandi» draus.

    2025 werden die Werke der Internationalen Bauausstellung (IBA) zu besichtigen sein, welche ab November 2011 auf den Weg gebracht werden. Möglicherweise ist Basel dann auch «Kulturhauptstadt Europas». Und hoffentlich lebt es mit dem Baselbiet in Eintracht (ob fusioniert oder nicht).

    Basel und die Region brauchen ein gemeinsames Projekt, um sich zu finden, aber auch um sich auf die Landkarte zu setzen, für die Schweiz und für Europa. Ein solches Projekt mit bedeutender Aussenwirkung trüge viel effektiver und langfristiger zur Geltung Basels bei, als es Lobbying-Stellen in Bern oder PR-Auftritte in Deutschen Städten tun. Die Schweiz, die Welt zu Gast in Basel – ein konstruktiver Plan für die nächste parlamentarische Legislatur.

  • Wo Zürich (nicht) Basel sein will

    Corine Mauch lancierte in Zürich eine Online-«Stadtdebatte». Fast 4000 Diskutierende folgten diesen Monat dem Aufruf ihrer Stadtpräsidentin und loggten sich in die fünf thematischen «Foren» des Mega-Blogs ein. Die gesetzten Bereiche waren: Bauen, Zürichs Grenzen, «Wie wollen wir zusammenleben?», 2000 Watt Gesellschaft und Mobilität. Eines der zeitweise dominanten Sujets, das aus dem Volk kam, war aber ausgerechnet Basel.

    Zürichs Stadtpräsidentin lancierte eine „Stadtdebatte“ und provozierte damit eine Wiedervereinigungs-Diskussion mit umgekehrten Vorzeichen: Was wäre, wenn die Limmatstadt wie Basel als Kanton autonom würde? Das Ergebnis überrascht.

    Das hatten die Veranstalter der Diskussion nicht erwartet: Der Vorschlag einer Bloggerin, die Stadt Zürich vom restlichen Kanton abzuspalten und einen eigenen Stand innerhalb der Eidgenossenschaft zu gründen – einen Kanton Zürich-Stadt – löste heftige Reaktionen aus. Der Hintergrund der Idee ist die Frustration darüber, dass der eher SVP-lastige Kanton im links-grünen Zentrum mitregiert. So möchte das Umland die Stadt gerne offen halten für den motorisierten Individualverkehr, während zahlreiche Stadtzürcher Haushalte – wie in Basel – auf ein eigenes Auto verzichten und sich deshalb als Opfer sehen: Sie leiden unter Unfallgefahren, Abgasen, Lärm und verstopften Strassen.

    Autonomie statt Automanie postulierte eine ganze Reihe Debattierer. Sie forderten die Abspaltung vom Restkanton, um selbstbestimmt entscheiden zu können. Es waren die Gegnerinnen und Gegner dieser Idee, die Basel ins Spiel brachten. Ihr Hauptargument: Am Beispiel von Basel-Stadt sehe man, wie eine Stadt allein ihren Einfluss auf eidgenössischer Ebene verliere. Diese Meinung gewann schliesslich die Oberhand.

    Aus Basler Sicht war es interessant zu verfolgen, wie sehr dieser Gedanke die Gemüter bewegte, obwohl er für Zürich beinahe utopisch klingt. Während wir uns fragen, «was wäre wenn BS und BL fusionierten?», überlegten sich die Zürcherinnen und Zürcher: «Was wäre wenn ZH in Zürich-Stadt (ZS) und Zürich-Land (ZL) zerlegt würde?» Das Ergebnis dieser Wiedervereinigungs-Diskussion mit umgekehrten Vorzeichen war: Auch rot-grüne Autorinnen und Autoren spüren lieber das bürgerlich-bünzlige «Hinterland» im Nacken, als die Zukunft allein bewältigen zu müssen und entsprechend isoliert da zu stehen.

    Dieses Signal ist ernst zu nehmen. Während Basel beispielsweise seit bald zehn Jahren an der ersten Durchmesserlinie der S-Bahn (das sogenannte «Herzstück» unter der Innenstadt durch) herumbastelt und sich engräumig über Varianten streitet, ist in Zürich – mit kräftiger finanzieller Hilfe der Miteidgenossen – bereits der Bau der zweiten Durchmesserlinie im Gang. Zurückzuführen ist dies auf die Finanzkraft, den politischen Willen und die Durchsetzungsfähigkeit des Kantons. Corine Mauchs Diskussion zeigte klar: In diesem Punkt möchte Zürich nicht mit uns tauschen.

  • Standortvorteil starker Franken

    Peter Malama ging unter die Demonstranten. Zunächst lancierte der Gewerbedirektor am basel-städtischen Gewerbetag, vor 650 Gästen in der Markthalle, Appelle an Politik, Gewerkschaften und Konsumenten. Seine Sorge galt dem Basler Detailhandel. Dieser leidet unter der Frankenstärke. In erster Linie wiederholte der Nationalrat Forderungen seiner Freisinnigen Partei, zum Beispiel nach Gewinnsteuersenkungen. Und er bat das Volk, zuhause einzukaufen.

    Gewerbedirektor Peter Malama protestiert gegen den Einkaufstourismus. Doch seine Argumente (Bild: Ausriss von Gewerbeverband-Flyer) greifen zu kurz. Unter dem Strich profitiert die Region Basel von der Frankenstärke.

    Am darauf folgenden Samstag verteilte Malama, in Anwesenheit herbestellter Medien, am Grenzübergang Riehen Richtung Lörrach Flugblätter an Auto fahrende Schweizerinnen und Schweizer. Er wollte die potenziellen Einkaufstouristen über die Folgen ihres Tuns aufklären.

    Es ist unbestritten, dass die Umwelt leidet, wenn jemand Dutzende von Kilometern mit dem Auto zum Einkaufen fährt. Das Argument ist Malama, der sich traditionell für ökologische Anliegen einsetzt, abzunehmen. Wenn er auch gegen den seit Jahrzehnten florierenden Tanktourismus in die Schweiz protestiert hätte, wäre die Aktion noch glaubwürdiger gewesen.

    Es ist auch richtig, dass der Basler Detailhandel leidet. Alle anderen Argumente des umtriebigen Politikers gelten vielleicht für das Mittelland, nicht aber für Basel und Umgebung. Wir profitieren hier vielfach vom harten Franken. Denn die Metropolitanregion bildet einen integrierten, grenzüberschreitenden Wirtschaftsraum:

    Zum Beispiel der Werkplatz: Die hiesige Wirtschaft produziert billiger, weil sie Grenzgängerinnen und Grenzgängern tendenziell tiefere Löhne bezahlt. Ein Arbeitsplatz in der Schweiz bleibt für diese Pendler dank günstigen Wechselkursen dennoch attraktiv.

    Zum Beispiel die Mieten: Da Haushalte ins billigere Elsass und nach Südbaden ausweichen können, bleiben die Mietpreise moderat, rund 500 bis 1000 Franken unter Zürcher und Genfer Niveau. Das gesparte Geld kommt zum Teil dem Detailhandel zugute.

    Zum Beispiel beim Einkaufen: Wer über die Grenze fährt (was auch per Fahrrad oder Zug möglich ist), streckt sein Einkommen und kann mehr sparen oder sich mehr leisten.

    Zum Beispiel die Volkswirtschaft: Unabhängig davon, ob ich in Basel oder Lörrach einkaufe, bleibt mein Geld im Wirtschaftskreislauf der Region. Die Familie des Deutschen Velohändlers gibt ihr Geld hier aus, nicht anderswo. Wenn Luzernerinnen oder Berner nach Hüningen einkaufen kommen, profitiert Basel mit. Es ist, als ob wir eine Freihandelszone geschaffen hätten, um den Regionalen Detailhandel anzukurbeln.

    In letzter Konsequenz müsste Peter Malama, statt an der Grenze Flugblätter zu verteilen, bei Konsumentinnen im Mittelland dafür werben, lieber Lörrach anzusteuern, anstatt Waldshut oder Konstanz. Das wäre echte regionale Wirtschaftsförderung.

  • Das Museum der Kulturen sind wir

    «Lolo» (Pseudonym) reagierte besorgt, nachdem er die Kolumne und den Blogbeitrag von letzter Woche («Basels neustes Kunstmuseum») gelesen hatte. Das frisch herausgeputzte Haus der Kulturen wolle «kein Museum mehr sein, das den menschlichen Umgang mit den natürlichen Ressourcen thematisiert». Dabei könnten «menschliche Gesellschaften aus dem Leben vergangener Kulturen Lehren ziehen».

    Weshalb sollen wir uns für versunkene Inka-Kulturen interessieren, während wir unseren mazedonisch-albanischen Nachbarn kaum kennen? Fremde Sprachen, Sitten und Gebräuche, zum Beispiel heutiger Chinesen, erleben wir vor der Haustür und bei der Arbeit (Bild: Mondfest auf dem Münsterplatz).

    Diese Stellungnahme ist Teil einer heftigen, über weite Strecken lesenswerten Debatte auf www.unserekleinestadt.ch. Manche Beiträge gehen so weit, die neuen Schauräume wegen «inhaltlicher Leere» gleich wieder schliessen zu wollen. «Klicki» (Pseudonym) etwa, stört sich daran, «dass von der riesigen Sammlung indigener Kult- und Kunstgegenstände so gut wie nichts mehr zu sehen ist».

    Es wäre eine interessante Diskussion, unter welchen Bedingungen wir von anderen Kulturen durch Vermittlung über ein Museum tatsächlich lernen können, wie «Lolo» vorschlägt. Zu diesem Zweck müssten wir mit diesen Kulturen in einen Dialog treten, was etwa im Falle der verstummten Völker Altägyptens unmöglich ist. Ihre Artefakte können uns zwar erbauen. Als Gesprächspartner stehen aber höchstens die vermittelnden Experten zur Verfügung.

    Als die Basler Museen entstanden, war die Bevölkerung verhältnismässig homogen. Die Besucher wünschten sich die Begegnung mit dem Fremden, dem Befremdlichen auch und damit die Relativierung ihres eigenen Standpunkts. Kinder träumten sich in ferne Länder. Heute müssen wir keinen Eintritt mehr bezahlen, um interkulturelle Erfahrungen zu sammeln. Vor unserer Haustür und bei der Arbeit erleben wir die Vielfalt von Sprachen, Sitten und Gebräuchen, zum Beispiel heutiger Chinesen. Der Unterschied von Tschador und Burka ist gar zum Politikum geworden. Weshalb sollen wir uns mit versunkenen Inka-Gesellschaften auseinandersetzen, während uns das Kennenlernen unseres mazedonisch-albanischen oder angolanischen Nachbarn zuweilen schwer fällt?

    Wir leben und sind das Museum der Kulturen. Manche Menschen empfinden die ethnologische Konfrontation im Alltag als bereichernd, andere als bedrohlich. Das neue Ausstellungshaus ist Basels grösstes Integrationsprojekt: Es sollte uns ermöglichen, das Fremde einzuordnen, zu verstehen, allenfalls auch uns abzugrenzen oder davon zu lernen. Ein interkultureller Dialog könnte mithelfen, unsere Identität als Stadt und in der Stadt weiter zu entwickeln.

    Die Aufgaben eines modernen Museums der Kulturen sind somit aktueller denn je. Sie rechtfertigen auch die Investition öffentlicher Gelder. Wenn Direktorin Anna Schmid auf Methoden der Kunstvermittlung zurückgreifen möchte, ist das in Ordnung. Aber den Zweck und das Konzept dahinter, sollte sie uns nicht vorenthalten.

  • Basels neustes Kunstmuseum

    Anna Schmid hatte am Dienstag dieser Woche einen guten Tag. Mit einem Glas in der Hand nahm die Direktorin reihenweise Gratulationen entgegen, für ihr neu eröffnetes Museum der Kulturen («MuKu»). Das Wetter spielte mit, weshalb sich das Vernissagen-Volk unter freiem Himmel im Hof und auf dem Münsterplatz zusammenrottete. Jung und alt zirkulierte ab und an in den neuen Räumen und Ausstellungen.

    Das Museum der Kulturen ist das neuste Basler Kunstmuseum. Weitere werden folgen. Und das ist gut so. Basel muss sich auf seine Stärken konzentrieren.

    Ein zufällig herausgegriffener Internet-Auftritt eines Hotels präsentiert den Gästen das «MuKu» wie folgt: «Das Museum der Kulturen ist ein traditionsreiches Völkerkundemuseum am Münsterplatz in Basel. Es gilt als grösstes ethnologisches Museum der Schweiz. Der Kanton Basel-Stadt ist Träger des Museums, welches rund 300 000 Objekte sowie ebenso viele historische Fotografien beherbergt. Die Sammlung umfasst Objekte aus Europa, Altägypten, Afrika, Asien, Altamerika und Ozeanien, darunter ein mehr als 10 Meter hohes Kulthaus der Abelam in Papua-Neuguinea.»

    Viele kamen zum Staunen nicht heraus: Von den im Internet beschriebenen, epochalen Sammlungen, die bis vor wenigen Wochen die Szene im damals heruntergekommenen Bau dominierten, ist fast nichts mehr zu sehen – mit Ausnahme des nach wie vor dominanten Abelam-Zeltes, das beinahe schon Nostalgie-Gefühle weckt. Fast alle restlichen 599 999 Artefakte schlummern – wohlbehütet, nehme ich an – in Kellern und Lagern.

    Schon immer konnte das Museum nur einen Bruchteil seiner Sammlung zeigen. Jetzt ist es noch weniger – ganz bewusst. Die Inszenierung ist minimalistisch, intellektuell anspruchsvoll und äusserst gelungen. Die Besucherin, der Besucher ist Teil der Ausstellung, wird in der Auseinandersetzung mit den Inhalten – in den Worten der Direktorin – «auf sich selbst zurückgeworfen». Genau darauf zielt jedes gute Kunstmuseum ab – seine Werke sollen provozieren, unser ästhetisches Empfinden ansprechen und beeinflussen, uns einen neuen, verdichteten Blick auf die Welt und den Alltag öffnen. Dies ist beispielsweise in der «Muku»-Ausstellung über Chinatown exemplarisch zu erleben.

    Somit wurde am Dienstag in Basel ein neues Kunstmuseum eröffnet – und das ist gut so. Eine kleine Stadt wie Basel kann nicht alles. Die Fokussierung auf Kunst ist sinnvoll. Das Antikenmuseum ist unser Museum der antiken Kunst. Das historische Museum ist ein Museum, das die Basler Geschichte neu aufarbeiten und auch aktualisieren sollte – warum nicht mit dem neuen Ansatz des Museums der Kulturen? Selbst das naturhistorische Museum könnte sich von dieser Idee inspirieren lassen. So wird Basel aus der Europa- in die Weltliga der Kunstplätze aufsteigen. Anna Schmid konnte sich dem Sog der Kunststadt nicht entziehen – die Bevölkerung wird ihren innovativen Ansatz zunächst skeptisch und langfristig begeistert mittragen.

  • «Man darf aus Fehlern lernen»

    Mathis Güller, ein nicht mehr ganz junger Zürcher Jungarchitekt, der auch in den Niederlanden tätig ist, wurde kürzlich gefragt: Was können Holländische Planer, die soeben den Wettbewerb für die Gestaltung der Basler Innenstadt gewonnen haben, besser als ihre Schweizer Kolleginnen und Kollegen? Die Antwort war verblüffend einfach: «Das niederländische Masterplan-Denken funktioniert anders. Man darf auch während der Realisierungsphase aus Fehlern lernen.» Sollten diese Eigenschaft tatsächlich auf Basel abfärben, können wir uns freuen.

    Würde das Erlenmatt-Quartier tatsächlich so realisiert, wie es vor über zehn Jahren geplant wurde, wäre es bald schon antiquiert. Basel muss seine Planungskultur überdenken und weiter denken.

    Zum Beispiel auf der Erlenmatt: Erste Häuser sind gebaut in diesem neuen Quartier und der Park ist in Ansätzen erkennbar. Ganz wohl ist es der Stadt und der Nachbarschaft aber nicht mit dieser neuen Wohnmaschine auf dem ehemaligen «DB-Areal». Die Vorstellung, dass es jetzt in diesem Stil weiter gehen könnte, mit weiteren dunklen, anonymen Wohnblocks und bloss spärlichen öffentlichen Parterre-Nutzungen, verspricht wenig Gutes.

    In harten Verhandlungen haben der Kanton und die Deutsche Bahn als Grundeigentümerin auch vereinbart, dass ein kleiner Teil des Bauvolumens leicht überdurchschnittlichen Energiespar-Grundsätzen genügen sollte. Das entsprechende Baufeld ist noch nicht einmal definiert, und schon bläst der Zeitgeist dieser Planung um die Ohren: Der Ausstieg aus der Atomenergie ist eine ausgemachte Sache, die Massstäbe für soziales und ökologisches Bauen haben sich radikal gewandelt, in Zürich und Bern entstehen soziale Siedlungen – Stichwort «Mehr als Wohnen» – sowie ganze Öko-Quartiere für autofreie Haushalte. Und in Basel?

    Würde das Erlenmatt-Quartier tatsächlich so realisiert, wie es vor über zehn Jahren geplant wurde, wäre es bald schon antiquiert. Wir müssten es unter Heimatschutz stellen – als Denk- und Mahnmal für die klotzende Baukultur der 90er Jahre. Dasselbe Schicksal droht auch dem Dreispitz – einem Filetstück der Basler Stadtentwicklung. Hier gilt ebenso: Was vor kurzem noch als progressiv galt – etwa der flächendeckende Minergie-Standard – ist heute schon Selbstverständlichkeit und muss überdacht und weiter gedacht werden. Vielleicht ist auch beim neuen Kinderspital oder auf der Schorenareal der Zug noch nicht abgefahren.

    Basel ist sehr darum bemüht, den Wohnungsbau anzukurbeln. Das ist sinnvoll, darf aber nicht auf Kosten der Zukunftsfähigkeit gehen. Manchmal gilt das Augenmerk auch der guten Architektur. Das ist löblich. Aber Stadtentwicklung ist weit mehr. Es geht darum, Orte mit Identität zu bauen, nicht nur Häuser. Experimente zu wagen. Menschen für Basel zu begeistern. Das an dieser Stelle schon mehrfach angesprochene Thema der Dichte bedeutet nicht immer, enger zu bauen. Dichte lässt sich auch mit Wohnkonzepten verwirklichen, die bewusst etwas weniger Quadratmeter Wohnfläche pro Person zur Verfügung stellen, auch etwas weniger Strassen, dafür mehr Gemeinschaftsräume, Grün und Spielorte.

  • Aufgestauter Frust ohne Ventil

    «Olivia» (Pseudonym) reagierte auf mit einem langen Beitrag auf die Kolumne und den Blogbeitrag von letzter Woche («Ist Basel zu dicht besiedelt?»). Es ist nicht der extremste Kommentar einer lebhaften Debatte, die auf www.unserekleinestadt.ch nachzulesen ist. «Olivias» Zeilen zeugen von einer tiefen Frustration: «Viele Quartiere sind nur noch Ghettos, ungepflegt, dreckig und verwahrlost. Diese Verwahrlosung ist eine Seuche, welche die ganze Stadt lahmgelegt hat, sogar die Freie Strasse ist dabei zu verlottern. Es tut einem weh, diesen Verfall der letzten 30 Jahre zu beobachten und gleichzeitig den politischen Unwillen zu sehen, etwas daran zu ändern. (…) Basel muss die Armut, die in ihr grassiert bekämpfen. Das sollte Priorität Nummer eins sein. Armut bekämpfen heisst hierbei nicht, arme Leute zu verstecken, sondern ihnen die Hilfe zukommen zu lassen, dass die Stadt nicht verwahrlost.»

    Unter der glatten Oberfläche einer prosperierenden Stadt brodelt es. Opfer des Wandels melden sich zu Wort, einige nur genervt, andere wütend oder resigniert. Was tun?

    «Karl» antwortet «Olivia»: «Es ist einiges wahr, was Sie hier schreiben. (…) Es reicht nicht, nur Geld zu verteilen, es braucht Investition in Bildung, nicht in BMWs. Aber von Armut zu sprechen – da würde ich vorsichtiger sein. Es gibt Leute, die ihre Miete nicht bezahlen, und deren Kinder haben dennoch i-Phones in ihren Taschen. (…) Vor allem ist die Gleichgültigkeit erschreckend, wie gegenüber dem eigenen Quartier keine Verantwortung wahrgenommen wird. Da braucht es mehr Durchmischung, und die kann nur vonstatten gehen, wenn bessere Wohnqualität erstellt wird (…).»

    Relativierend und zugleich bestätigend schreibt ein weiterer Blogger: «Obwohl ich zu den etwas ‘besseren’ Steuerzahlern gehöre, wohne ich (mit Kindern) im Matthäusquartier. Wenn ich abends vom Ausgang nach Hause zurückkehre, laufe ich dem unteren Rheinweg entlang. (…) Probleme hatte ich nie und ich wohne schon seit Jahren hier. Darüber hinaus war das Matthäusquartier schon immer ein Quartier der einfachen Leute. Früher waren dies die Opfer der Industrialisierung, heute sind es Ausländer (damit wir Schweizer ein Leben im Mittelstand führen können). Und ja, auch ich finde es ein wenig ärgerlich wenn die Bedienung im Restaurant fast kein Deutsch, dafür umso besser Türkisch spricht, Gelfrisuren im tiefer gelegten 3er BMW durch das Quartier düsen und Alkis am Strassenrand rumlungern. (…) Aber wieso erzähle ich Ihnen das alles? Vielleicht sehen Sie ja, dass in Basel vieles übertrieben wird (besonders von den ‘wahren‘ Baslern).»

    Unabhängig davon, wo genau die Wahrheit liegt: Die Politik unternimmt zu wenig, um Frustrationen zu verstehen, die sich zumindest verbal ausbreiten. Schon allein diesem tief besorgten Teil der Bevölkerung systematisch ein Ohr zu leihen, wäre ein positiver erster Schritt. Ein regelmässiger Stammtisch am Ort des Geschehens, mit verantwortlichen Behörden, wo Klagen möglich wären, erleichterte das tägliche Zusammenleben, würde die Stimmung in unseren Strassen aufhellen und nicht zuletzt die Stadtentwicklung befruchten.

  • Ist Basel zu dicht besiedelt?

    Christoph Eymann kündigt auf Schuljahresbeginn Millioneninvestitionen in neue und rundum erneuerte Schulhäuser an. Diese Ausbaupläne des Erziehungsdirektors für mehr Kinder und Tageschulen sind doppelt erfreulich. Denn sie bedeuten, dass Basel berufstätige Eltern anzieht und dass der Kanton in die Bildung investiert.

    Die Stadt wächst wieder, jedoch viel zu langsam. Wie trotz Flächenbegrenzung zusätzlich 43000 Menschen, also eineinhalb Mal das «Joggeli», in Basel Platz finden können, schreibt Daniel Wiener im Blog.

    Obwohl die Attraktivität für junge Familien ein Zeichen prosperierender Wirtschaft und guter Lebensqualität ist, werden gegen die Bevölkerungszunahme Ängste geschürt. Einzelne Parteien werden im aufkeimenden Wahlkampf versuchen, mit Stimmungsmache, vor allem gegen ausländische Neuzuzüger, aufzutrumpfen. Sie eifern dem Baselbieter Benno Büeler nach, dessen Organisation «Ecopop» mit einer Volksinitiative und ökologischen Argumenten gegen die Zuwanderung kämpft: Neue Einwohner würden die Räume verengen, zum Beispiel auf der Strasse zu Staus und im Tram zu Gedränge führen. Und sie steigerten unseren Energie- und Bodenverbrauch.

    Für Städte gilt dies jedenfalls nicht. Im Vergleich mit dem Hüsli-Brei der Peripherie beanspruchen Zentren pro Kopf weniger Boden und bieten kürzere Wege zur Arbeit oder zum Freizeit-Vergnügen. Dichte Städte erlauben es auch, öffentliche Verkehrsmittel rentabel zu betreiben.

    Basels Bevölkerung liegt heute bei 170 000, auf gleicher Höhe wie 1945. Nach dem Zweiten Weltkrieg wuchs Basel jährlich um 2000 Menschen – bis auf 213 000 im Jahre 1970. Es erscheint fast unglaublich, aber das gleiche Fleckchen Erde bewohnten damals 43 000 oder 25% mehr Bebbi als heute. Im Vergleich zu 1970 sind wir also eher daran zu vereinsamen auf unseren weitläufigen Strassen, Plätzen und Grünanlagen. Hier liegt viel Potenzial brach.

    Seit der historische Kompromiss mit den Familiengärtnern die Neubaufläche eng begrenzt, ist die wichtigste Wachstumsalternative Basels eine dichtere Besiedlung bestehender Quartiere. Diese ist nur realisierbar, wenn wir zum Ausgleich sorgfältig umgehen mit dem öffentlichen Raum. Stichworte sind Verkehrsberuhigung, Begrünung und soziale Nutzung.

    Verdichtung ruft nach Prioritäten zugunsten von Freiräumen für alle. Für Kinder und Jugendliche, aber auch für die ältere Bevölkerung: Sitzbänke statt Reklameständer in der Innenstadt; Parks statt Parkplätze in Hinterhöfen (parkieren kann man unterirdisch); kleinere und leisere Autos; Märkte als Treffpunkte; Ausbau der Fusswege und Fahrrad-Verbindungen ins grüne Umland. Gestaltungsspielraum öffnet sich an Häfen und Güterbahnhöfen, an Wiese und Rhein. Die renovierte Claramatte weist den Weg zu höherer Nutzungs-Qualität bei unveränderter Fläche. Die einst banale Kreuzung Tellplatz lädt heute an bester Lage des Gundeli zum Verweilen ein.

  • Was London mit Basel zu tun hat

    Ueli Vischer, heute Präsident zahlreicher gewichtiger Institutionen, initiierte als Basler Finanzdirektor die «Werkstadt Basel». Mit diesem umfassenden Dialogprozess zapfte die Regierung das Erfahrungswissen der Bevölkerung an, um die städtische Lebensqualität zu verbessern. Der Schreibende durfte diesen Prozess mit gestalten. Als Resultat kam 1999 das «Aktionsprogramm Stadtentwicklung» (APS) heraus.

    Der Begriff des «guten Steuerzahlers» wurde 1999 erfunden. Damals war Basel von Defiziten und Abwanderung geplagt. Eine Ansiedlungspolitik, die nur noch auf «gute Steuerzahler» zielt, er-schüttern die Grundlagen des Zusammenlebens.

    Eine der 180 konkreten APS-Massnahmen, die verwirklicht wurden, war das Projekt «5000 Wohnungen für Basel». Diese sollten innert zehn Jahren realisiert werden, was beinahe gelang. Die Idee des Wohnungsbaus war eine logische Konsequenz aus dem Untertitel der «Werkstadt Basel». Dieser lautete: «Projekt zur langfristigen Sicherung der Steuereinnahmen von natürlichen Personen.» Deshalb war auch Ueli Vischer als Finanzdirektor Projektleiter.

    Damals wurde erstmals thematisiert, dass man einen defizitären Staatshaushalt nicht nur mit rigorosem Sparen oder Steuererhöhungen ins Lot bringen kann. Die «Werkstadt Basel» wies einen dritten Weg: Das Anlocken Gutbetuchter durch bessere Lebensqualität in der Stadt. Das war die Geburtsstunde des Begriffs «guter Steuerzahler».

    Die Strategie ist auch aus heutiger Sicht noch richtig, aber sie hat Grenzen. Eine Ansiedlungspolitik, die nur noch auf «gute Steuerzahler» zielt, erschüttern die Grundlagen des Zusammenlebens. Wer schöne und teure Logis baut, sollte im gleichen Takt auch schöne und günstige Wohnungen erstellen (oder stehen lassen), und zwar im gleichen Stadtteil, nebenan. Auch die Kinder ärmerer Menschen haben das Recht auf sichere Schulwege und begrünte Spielplätze. Überall, wo das Gleichgewicht im Wohnraum-Angebot fehlt, gibt es in den Schulen fast nur Schweizer oder nur Ausländer. Beides ist schädlich für den Zusammenhalt und die Produktivität einer Stadt.

    Bei Novartis oder Roche wird «Diversität» nicht nur gefördert, sondern sie ist Chefsache. Kein Wunder: Sie ist ein Schlüssel zum Erfolg. Das gilt auch für Basel als Stadt. Was – umgekehrt – geschehen kann, wenn sich Gettos bilden, erleben wir gegenwärtig in London. Natürlich ist die Schweiz nicht 1:1 mit Grossbritannien vergleichbar, aber im Kleinen erleben wir täglich ähnliche Gewalt von Unzufriedenen und Unmotivierten.

    Eine weitsichtige staatliche Vermietungs- und Liegenschaftspolitik, aber auch die kantonale «Wohnraumentwicklungsstrategie» (das Wort habe nicht ich erfunden) können wesentlich helfen, Diversität zu ermöglichen und sozialen Problemen vorzubeugen, die zum Beispiel entstehen, wenn aus benachteiligten Quartieren alle Schweizer Familien abwandern. Oder in der Innenstadt nur noch Reiche leben. Kurzfristig mag sich das auszahlen. Die Zeche bezahlt die nächste Generation.

  • Kein schlechter Patriot

    André Mislin, Chef von Coop Nordwestschweiz, ist ein motivierender und erfolgreicher Manager. Auch harte Konkurrenz vermag seine Stirn nicht in Falten zu legen. Sie treibt ihn vielmehr zu Höchstleistungen an. In seiner jahrzehntelangen Karriere als Detailhändler hat er jedoch noch nie eine Herausforderung erlebt, wie sie sich am 1. August im grenznahen Ausland zeigte: BL, BS, BS, LÖ, LÖ, BL, LÖ, BS, BL, BS. So las sich schon morgens um 11 eine willkürlich herausgegriffene Reihe von Autokennzeichen entlang der dicht befahrenen Einkaufsmeile in Weil am Rhein.

    Wirtschaftsführer rufen dazu auf, trotz starkem Franken im Inland zu shoppen, um den Schweizer Detailhandel zu stützen. Weshalb das Einkaufen jenseits der Grenze für Basler selbst am Nationalfeiertag kein unpatriotischer Akt ist, erklärt unser Blog.

    Vor den Kassen der dortigen Shoppingcenter, Apotheken, Bioläden, Elektrofachgeschäfte, Modeboutiquen, Optiker und Buchhandlungen traten sich am Nationalfeiertag Schweizerdeutsch parlierende Paare und Familien gegenseitig auf die Füsse. Sie kauften üppig ein, zu Preisen, die durchschnittlich 30 bis 40% unter dem Niveau von Basel lagen – bei gleicher Qualität. Viele verlangten eine Ausfuhrbescheinigung. Mit etwas bürokratischem Aufwand lassen sich damit – dank Mehrwertsteuer-Rückerstattung – die Kosten um weitere 10% drücken.

    Zur Feier des Tages trugen manche Einkaufstouristen rote T-Shirts mit Schweizerkreuz. Tatsächlich ist kein schlechter Patriot, wer im nahen Ausland einkauft. Ein solcher Schweizer pflegt im Gegenteil die typisch eidgenössische Tugend der Sparsamkeit. Wer seine Kaufkraft mit Hilfe des schwachen Euro aufpeppt, nutzt einen Standortvorteil, der in keinem Regionen-Rating vorkommt: Die Grenzlage vergünstigt nicht nur die Mieten der Baslerinnen und Basler, sondern auch ihren täglichen Konsum. Anders als Einkaufstouristen aus Bern oder Zürich, erreichen sie ihr Ziel bequem in 15 Minuten per S-Bahn, Fahrrad, Bus oder Auto.

    Am 1. November kommt dann der Gegenbesuch: Seit Jahrhunderten sind Innenstadt und Herbstmesse an Allerheiligen fest in den Händen unserer katholischen Nachbarn. Auch diese Visiten stärken das Gemeinsame, die wirtschaftliche Verflechtung, das Kennenlernen. So fallen beim Shoppen in Weil nebenbei die Plakate des lokalen Veranstalters www.kieswerk-open-air.de auf. Weshalb nicht einen Katzensprung zu diesem Festplatz wagen, wo allabendlich für 7 Euro ein Kinofilm, Konzerte und Kulinarisches auf dem Programm stehen?

    Auch die Basler Zeitung ist übrigens in Deutschland erhältlich: Sie kostet zwei Euro, umgerechnet 2 Franken 20, also 60 Rappen weniger als am Erscheinungsort. Bald heisst es: Für die BaZ rasch nach Binzen. Wir können gespannt sein, was sich André Mislin gegen die Grenzüberschreitungen seiner Kundschaft ausdenkt. In der Zwischenzeit geniessen wir guten Gewissens die schöne Erkenntnis: Preisdifferenzen gehören zu den kleinen Unterschieden, die Völker seit jeher verbinden. Erst recht in der Region Basel.