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Kulturwandel für Nachhaltigkeit

  • Tettamantis Testament

    Tito Tettamanti ist zurück. Als ehemaliger und neuer Besitzer der Basler Zeitung beherrscht er die wichtigste publizistische Stimme der Region. Der Deal wurde in Zürich angekündigt. Und der neue Eigner heisst weder Sarasin noch von der Mühll, weder Liechtenhan noch Burckhardt, weder Merian noch Vischer und schon gar nicht Faesch.

    Dass die Basler Zeitung zeitweise an Christoph Blocher fiel, ist ein Schwächezeichen des Basler Grossbürgertums. Mit seiner wiederholten Übernahme der BaZ sendet Tito Tetta-manti (Bild) eine wichtige Botschaft vom Ticino an den Rhein.

    Stolze Namen – Schall und Rauch. Das Basler Grossbürgertum hat sich aus dem Wirtschaftsleben mit wenigen Ausnahmen verabschiedet und betätigt sich vorwiegend (und verdienstvoll) mäzenatisch. Die Sarasin-Bank: Verkauft nach Holland und jetzt nach Brasilien. Der Bankverein: Verscherbelt nach Zürich. Die Maschinenfabrik Burckhardt: Transferiert nach Winterthur. Novartis und Syngenta – geführt von US-Amerikanern, im Besitz der ganzen Welt. Die BaZ – ein Tessiner Blatt, dessen Präsident, CEO und Chefredaktor aus Zürich und dem Aargau stammen. Wollte es denn hier niemand haben?

    Auch in der Politik taucht das klassische Basler Bürgertum bloss noch sporadisch auf. Intakt ist hingegen das Engagement der Kader kleiner und mittlerer Unternehmen. Der Freisinn und die CVP überleben knapp dank einer kleinbürgerlichen Basis, die den Karren mit viel Idealismus und Fasnachtsgeist zieht.

    Basel ist trotz alledem eine vitale, weltoffene Stadt, die investiert und Investoren anzieht. Die feiert und festet. Die Sport und kulturelle Blüten treibt. Aber ein Bürgertum, das den öffentlichen Diskurs prägt und trägt, das die Richtung vorgibt und Prioritäten setzt, sucht man vergeblich. Links-grün hat diese Rolle übernommen, ohne sie ganz auszufüllen. Der Mehrheit mangelt es an Machtbewusstsein und Mut. Wären wirklich die Parteiprogramme der Sozialdemokraten und der Grünen ihr Massstab, würde Basel ganz anders aussehen.

    Eine profilierte Politik gedeiht nur, wenn sie sich reiben kann. Aber Links-Grün sucht vergeblich nach einem starken, herausfordernden Gegenüber. Selbst die Anti-Blocher-Bewegung von «Rettet Basel!» blieb in der laufenden, turbulenten Woche seltsam blass. Die Gründe der Abstinenz sind mannigfaltig: Müdigkeit und Sattheit, die Grenzlage sowie die Kantonstrennung, die einen Teil des Baselbieter Bürgertums von der städtischen Politik fernhält.

    Es fehlt an allen Ecken und Enden die kritische Masse. Nur wenn Basel seine Grenzen sprengen kann, sei es dank Metrobasel, mithilfe der Internationale Bauausstellung IBA oder durch Zusammenarbeit mit anderen Kantonen, kommt die Region wieder zu Kräften. Und sie könnte ihre Wirtschaft wieder etwas mehr in die eigenen Hände nehmen.

    Das ist Tito Tettamantis Testament und Botschaft: Gewisse strategische Trümpfe wie die Medien, aber auch die grossen Industriebetriebe, den Verkehr und die Finanzwirtschaft kann man nicht ganz den anderen überlassen, ohne einen Standort mittelfristig zu gefährden.

  • Wohlstand dank Klimaschutz

    Klimaleugner oder Klimaskeptiker heissen seltsamerweise Menschen, die in Abrede stellen, dass es eine Klimaerwärmung gibt. Während Klimakonferenzen – wie gegenwärtig in Durban – haben die Klimaleugner Hochkonjunktur. Neben dem harten Kern der Klimaleugner, die jede Erwärmung abstreiten, gibt es noch zwei Unterarten: Jene, die zwar eine potenziell katastrophale Erwärmung erwarten, diese aber als natürliche Schwankung interpretieren. Sowie jene, die ebenfalls an eine Erwärmung glauben, sie aber als harmlos betrachten.

    Wer heute den unvermeidbaren Umstieg aus der fossilen Vergangenheit in die erneuerbare Zukunft wagt, der positioniert sich in lukrativen Märkten. Die Solar-Stadt Basel weist den Weg.

    Die Delegierten der Klimakonferenz COP 17 in Südafrika gehen hingegen davon aus, dass es die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung gibt. Sie diskutieren Massnahmen, um den Untergang von Inseln, die Häufung von Überschwemmungen, das Abschmelzen der Gletscher und viele andere Gefahren zu bannen. An dieser unheilvollen Perspektive ändert auch eine allfällige wirtschaftliche Flaute nichts. Sie verzögert höchstens den Prozess, weil die Menschen weniger konsumieren und damit auch weniger Treibhausgase entstehen.

    In der Krise fragen sich hingegen manche, ob wir uns den Klimaschutz noch leisten können. Da fallen die Argumente der Klimaleugner auf besonders fruchtbaren Boden. Es könnte ja sein, dass alle Anstrengungen umsonst weil überflüssig sind. Es wäre fahrlässig, dies zu glauben. Selbst wer Zweifel hegt an der Korrektheit der wissenschaftlich abgestützten Voraussagen, müsste die Investitionen in den Klimaschutz als Risikominimierung und Schutzschild akzeptieren. Bei der gegenwärtigen Datenlage ein Klimaexperiment im globalen Massstab zu wagen, wäre unverantwortlich.

    Deshalb ist es richtig, dass Basel-Stadt den Weg zur 2000 Watt Gesellschaft und den Ausstieg aus der fossilen Energie systematisch weiter geht. Zum Beispiel indem das Amt für Umwelt und Energie dieser Tage eine Internet-Applikation lanciert, welche es jedem Hausbesitzer erlaubt nachzuschauen, ob sich eine Solaranlage auf dem Dach auszahlen würde.

    Noch einen Schritt weiter geht jedoch die Chinesische Regierung. In einer Präsentation in Durban legten deren Funktionäre dar, weshalb China so oder so den Weg der «low carbon economy» (etwa: kohlenstoffarme Wirtschaft) gehen wird: «Wir können uns gar nichts anderes Leisten. Wenn wir Wohlstand für alle wollen, ohne die Umwelt und Ressourcen zu zerstören, sind wir gezwungen, mit dem Klimaschutz ernst zu machen», sagte der Leiter der einflussreichen Nationalen Reform- und Entwicklungskommission Chinas.

    Dahinter verbirgt sich noch eine andere Logik: Wer heute den unvermeidbaren Umstieg aus der fossilen Vergangenheit in die erneuerbare Zukunft wagt, der positioniert sich in lukrativen Märkten. Eines Tages werden die Basler selbst in Zürich Solardächer montieren und Strom ins Netz einspeisen.

  • Demokratieverständnis: Null

    Thierry P. Julliard, Sekretär des Vereins Fümoar, nervt. Eigentlich wollte ich auf das Thema nicht mehr zurück kommen. Aber das ständige Gerede vom «knappen» Abstimmungsresultat, das die Basler Bevölkerung dazu verpflichten sollte, das Rauchen in Restaurants doch noch ein wenig zu tolerieren, ist nicht tolerierbar. Dieser Diskurs versucht, einen der wichtigsten Grundsätze unserer Demokratie auszuhebeln: das Akzeptieren von Mehrheitsentscheiden.

    Nach dem System von Fümoar-Sekretär Thierry P. Julliard (rechts, hier mit Fümoar-Präsident Mario Nanni) würde ab sofort jeder Volksentscheid basierend auf dem Verhältnis der annehmenden und ablehnenden Stimmen nachverhandelt. Dies wäre unerträglich. (Foto Henry Muchenberger)

    Natürlich könnte man zum Beispiel verlangen, dass eine Initiative erst dann als angenommen gilt, wenn neben einer Ja-Mehrheit an der Urne mindestens ein Drittel der Berechtigten zustimmen. Das haben wir soeben im Bundesland Baden-Württemberg im Zusammenhang mit «Stuttgart 21» erlebt. Wir wissen auch, woher das Deutsche Misstrauen gegenüber Volksentscheiden kommt: Aus der Weimarer Republik, wo eine unreife Demokratie schliesslich in eine Diktatur des Faschismus mündete. In Basel gelten immer noch andere Gesetze.

    Wenn nun Mehrheitsentscheide hierzulande mit dem Argument des «Zufallsmehrs» in Frage gestellt werden, wenn Thierry P. Julliard in der BaZ vom letzten Dienstag sogar ausdrücklich den Vergleich mit der «Hexenverfolgung» zieht, dann ist das nicht nur schlechter Stil, sondern gehört deutlich und öffentlich widersprochen. Zumal auch Tages-Woche Co-Chefredaktor Remo Leupin in seinem Abstimmungskommtentar fast gleichlautend eine angebliche «Hexenjagd» auf Raucher beklagt.

    Wissen Julliard und Leupin überhaupt, was die Hexenverfolgung war? Zufällig sähe auch Toni Brunner Bundesrätin Widmer-Schlumpf am liebsten «auf dem Scheiterhaufen». Dieser Fehltritt kostete ihn in St. Gallen viele Stimmen stramm bürgerlicher Wählerinnen und Wähler. Julliard gibt noch eins drauf, indem er zusätzlich die «Christenverfolgung» bemüht und düster von «später noch Weiterem» spricht.

    Wären knappe Entscheide nach der Methode Julliard abgehandelt worden, hätten wir heute zum Beispiel nur eine halbe Nordtangente. Diese war seinerzeit in der Volksabstimmung von Basel abgelehnt worden, kippte aber durch das Votum von Riehen und Bettingen in eine knappe Annahme. Als das Stimmvolk in den 70-er Jahren mit ein paar Dutzend Stimmen Unterschied die heftig umstrittene Renovation von 40 staatseigenen Altstadt-Liegenschaften bewilligte, wurden auch nicht bloss 20 Häuser umgebaut, sondern selbstverständlich alle (und sogar noch weitere), obwohl bei dieser Vorlage ein «Kompromiss» praktikabler gewesen wäre als bei einer Stadtautobahn.

    Nach dem System Julliard würde ab sofort jede Entscheidung nach den Proportionen der annehmenden und ablehnenden Stimmen nachverhandelt. Dies wäre unerträglich. Wer so argumentiert, dem geht jedes Demokratieverständnis ab.

  • Too big to ignore

    Peter Dittus, Generalsekretär der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), begab sich in die Niederungen des «Gundeli» zum Gespräch mit der «Occupy Basel»-Bewegung. Der Gang war symoblträchtig, liegt doch das traditionelle Mittlelstands-Quartier dem BIZ-Turm zu Füssen. Und es ist der Mittelstand, der in der aktuellen Krise am meisten Haare lassen muss.

    Zwei Basler Banken hätten es in der Hand, in die Schieflage des Finanzmarkts korrigierend einzugreifen. Eine von beiden, nämlich die BIZ, wäre laut ihrem Generalsekretär Peter Dittus (Bild: im Gespräch mit der „Occupy Basel“ Bewegung) dazu bereit, wann folgt die andere?

    Das Outfit des BIZ-Kaders erinnerte eher an einen H&M-Stammkunden als an einen Banker: Stilvoll abgewetzte Jeans, Karo-Hemd, ein lässig umgehängter, ockerfarbiger Wollschal und coole, weisse Sneakers. «Ich bin einer von Euch», wollte Dittus offensichtlich signalisieren.

    Dies sind ganz neue Zeichen: Bis vor kurzem fand selbst die Basler Regierung nur selten Gehör im schlammfarbigen «Kühlturm» am Bahnhof. Denn das exterritoriale, diskrete Gebaren des BIZ-Machtzentrums ist Teil seines Programms. Die Bank der Nationalbanken steht über dem Geschehen und beschäftigt sich – in der Fachsprache – mit «high finance».

    «High finance» heisst nichts anderes als: Die BIZ ist der Urquell aller Geldschöpfung. Kinder fragen, woher das Geld kommt. Die korrekte Antwort lautet nicht: «Aus dem Bancomaten.» Sondern: «Von der BIZ und ihren Besitzern.» Diese in Basel beheimatete internationale Behörde legt zum Beispiel fest, zu welchen Bedingungen Banken Kredite vergeben dürfen. Die entsprechenden Regelwerke heissen denn auch «Basel 1, 2 und 3».

    Stimmungsbilder vom inzwischen geräumten Zuccotti Park im New Yorker Finanzdistrikt…

    Jetzt ist die BIZ, durch den Auftritt von Peter Dittus, in der Stadt angekommen. Und wie! Dittus flehte beim öffentlichen Treffen in der Fachhochschule für Soziale Arbeit (sic!) die «Occupy Basel»-Bewegung geradezu an, aktiver und zahlreicher zu werden. Nur dank öffentlichem Druck würde es der BIZ gelingen, die wild gewordene Bande der Privatbanken zu zähmen.

    In der Tat würde es dem Finanzplatz Basel wohl anstehen, sich einer Strategie zuzuwenden, welche Nachhaltige Entwicklung fördert und das in allen Branchen. Die UBS – ebenfalls eine Basler Bank – will sich laut neuer Strategie vermehrt um die Reichen und Superreichen auf unserem Planeten kümmern. Doch sie hat es verpasst, uns mitzuteilen, wofür sie die gesammelten Gelder dieser Reichen einsetzen möchte.

    …während der wochenlangen Besetzung durch die Occupy Wall Street Bewegung.

    Da könnte die Allianz aus BIZ und Occupy-Bewegung nachhelfen: Zum Beispiel um Ökosysteme zu stabilisieren, Arbeitslosigkeit mit Krediten für Klein- und Mittelunternehmen zu bekämpfen, dringend notwendige Infrastruktur-Projekte zu finanzieren, wie etwa Eisenbahnen, Solarkraftwerke, schlaue Elektrizitätsnetze, Schulen und Universitäten. Die BIZ und die UBS zusammen hätten es in der Hand, die zunehmend schiefe Vermögensverteilung und die wachsende Umweltzerstörung zu korrigieren. Die BIZ ist dazu bereit. Wann folgt die UBS?

  • Der Beitritt der EU zur Schweiz

    Willhelm Tell, Schweizer Nationalheld von Schillers Gnaden, verkörpert wie kein anderer den Unabhängigkeits-Willen unseres Landes. Im gleichnamigen Theaterstück spricht der erste eidgenössischen Staatsmann, Werner Stauffacher, folgende Zeilen:

    Wir stiften keinen neuen Bund, es ist

    Die Schweiz weckt bei vielen Nachbarn Neid. Dazu gibt es eine Alternative: Der Beitritt Europas zur Schweiz und zum Frankenraum. Basel kann dafür Vorbild sein.

    Ein uralt Bündnis nur von Väter Zeit,
    Das wir erneuern! Wisset, Eidgenossen!
    Ob uns der See, ob uns die Berge scheiden
    und jedes Volk sich für sich selbst regiert,
    So sind wir eines Stammes doch und Bluts,
    Und eine Heimat ist’s, aus der wir zogen.

    Es ist genau diese Ideologie des gemeinsamen Hauses, welche die Europäische Union (EU) heute noch zusammenhält, wie auch der prominente Deutsche Publizist Frank Schirrmacher letzten Montag am Schweizer Radio unterstrich. Je stärker jedoch Europa als Idee beschworen wird und parallel dazu ihr wirtschaftlicher Kitt bröckelt, um so grösser wird der Schweizer Abwehrreflex. Die Schweiz entstand nicht über den Beitritt zu einer grösseren Gemeinschaft: Der Schweiz tritt man bei.

    Die Region Basel ist hierfür ein gutes Beispiel. Sie bildet eine Mini-EU unter Schweizer Führung. Im Kern ist Basel Schweizerisch. Die Elsässer und Badener geniessen die Vorteile, wirtschaftlich in diese Metropole integriert zu sein. Genau diesem Modell könnte die EU folgen, indem sie der Schweiz beitritt.

    Die bilateralen Verträge sowie der «autonome» Schweizer Nachvollzug von EU-Recht führten in der Vergangenheit zu einer gewissen gegenseitigen Angleichung der Rechtssysteme. Was nun folgen könnte, wäre der Beitritt Europäischer Länder zum Erfolgsmodell Schweiz, mit der entsprechenden Übernahme von Schweizer Recht.

    Darin hat unser Land Erfahrung und Tradition. Die Schweiz ist durch den Beitritt von Staaten entstanden. Der Vorschlag mag erstaunen oder gar schockieren, da die Grössenverhältnisse nicht zu passen scheinen, wenn beispielsweise Frankreich oder Italien der Schweiz und damit dem Frankenraum beitreten würden. Der Prozess müsste schrittweise erfolgen, doch wäre nichts selbstverständlicher: Im Markt der Staatformen würde sich jenes Arrangement durchsetzen, das sich langfristig als zweckdienlich erwiesen hat.

    Die Schweiz weckt bei vielen Nachbarn Neid. Dazu gibt es eine Alternative: Das Weiterdenken der Schweiz und die Verschweizerung Europas. Nicht nur im übertragenen Sinn, sondern ganz real und praktisch. Die grenzüberschreitenden Kooperationen Basels können dazu einen grossen Erfahrungsschatz beitragen.

  • Zwängerei – nein Danke!

    Thierry P. Julliard, Sekretär des Vereins Fümoar und eine Reihe vorwiegend bürgerlicher Politiker verschwenden unsere Zeit und unsere Steuergelder. Die vom Volk beschlossene Regelung über das Rauchen in öffentlichen Lokalen ist erst seit 20 Monaten in Kraft – und schon müssen wir uns zur gleichen Frage erneut an der Urne äussern. Normalerweise denunzieren dieselben Kreise solche Kapriolen als «Zwängerei». Weshalb greifen sie jetzt zum gleichen Mittel?

    Basel hat den Nichtraucherschutz in Beizen erst vor 20 Monaten eingeführt – per Volksentscheid. Es ist stillos, Abstimmungen so kurzfristig wieder in Frage zu stellen. Schon aus diesem Grund ist die neue Raucherinitiative der Wirte abzulehnen.

    Das Ziel der Initiative, das Rauchen in Basler Bars und Beizen unter 80 m2 wieder einzuführen, ist ein Beleg für die Fantasielosigkeit ihrer Wirte. Diese sehen in der Raucherbewilligung den entscheidenden Grund dafür, dass die Leute zu ihnen kommen. Weil sie sonst wenig zu bieten haben?

    Mit «Freiheit» hat das Ganze nichts zu tun: Gerade ultraliberale Länder wie die USA kennen noch deutlich strengere Rauchverbote als Basel. Denn ähnlich wie bei der Verkehrsregelung auf der Strasse, geht es um den Schutz von Leib und Leben. Die Freiheit des Einzelnen hört dort auf, wo ihre Ausübung andere gefährdet.

    Es ist absolut zumutbar, für die Zigarette nach draussen zu gehen. In aller Welt sehe ich zufriedene Gesichter von Raucherinnen und Rauchern, die vor Lokalen auf dem Trottoir stehen und sich paffend bestens unterhalten. Auch im Winter. Sie lernen sich dort sogar kennen.

    Deshalb werde ich den Verdacht nicht los, es gehe den Initianten, welche das Rad der Geschichte zurückdrehen wollen, gar nicht um ihre Gäste, sondern darum, gedankenlos so weiter wirtschaften und wursteln zu können, wie bisher. Und auch darum, die gesetzlich fragwürdige Grauzone der Fümoars zu rechtfertigen.

    Das auswärts Essen, Trinken und sich begegnen hängt von der Qualität des Angebots und nicht von der Raucherbewilligung ab. Seit das neue Gesetz am 1. April 2010 in Kraft trat, gehen die Leute nicht weniger in den Ausgang. Vielleicht gab es aber Verschiebungen. Gewinner waren sicher jene Wirtschaften, die sich auf die neuen Gegebenheiten einstellten.

    Möglicherweise müsste das eine oder andere Geschäftsmodell einer Basler Beiz angepasst werden. Das ist weltweit so – in allen Lebensbereichen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, hat Michail Gorbatschow, der letzte Präsident der verblichenen Sowjetunion einmal gesagt. Ein Autohändler, der heute noch Fahrzeuge ohne Katalysator anböte, müsste seinen Laden dicht machen.

    Es ist für das Funktionieren der Demokratie zentral, einmal getroffene Volksentscheide nicht gleich wieder in Frage zu stellen. Ein Nein ist auch aus diesem Grund die einzige richtige Antwort auf die Zwängerei von Thierry P. Julliard und seiner Kollegen.

  • Dürrenmatt vs. Kaurismäki

    Markus Somm, Chefredaktor dieser Zeitung, stöhnte bei Telebasel: Es sei fast nicht zum aushalten, wie rasch heutzutage die Themen wechselten. Bevor eine Lösung in Sicht sei, stehe schon ein neues Problem im Zentrum. Dazu kommt: Die meisten Nachrichten sind negativ und deprimierend.

    Gute Nachrichten sind rar. Es scheint, also ob Friedrich Dürrenmatts Tragikomödien das Zepter führten. Mehr Optimismus, wie in Aki Kaurismäkis aktuellem Film, täte nicht nur Basel gut.

    Deshalb habe ich mir vorgenommen, für einmal eine Kolumne mit ausschliesslich positiven News über Basel zu verfassen. Methodisch orientiere ich mich dabei am herzergreifenden Film von Aki Kaurismäki, der gegenwärtig im kult.kino Atelier läuft. Der Finnische Altmeister erzählt seine Geschichte konsequent gegen Friedrich Dürrenmatts «Dramentheorie», wonach jedes Stück die schlimmstmögliche Wendung nehmen müsse. Es geht auch umgekehrt. Versuchen wir’s mal:

    Alle Schulabgänger finden eine Lehrstelle.

    Stadt und Land, Einheimische und Ausländer haben einen Weg gefunden, zu kooperieren anstatt zu konkurrieren.

    Baslerinnen und Basler decken ihre Automobilitätsbedürfnisse vorwiegend mit «Car sharing» ab.

    Der öffentliche Verkehr rund um Basel übernimmt Funktionen des Privatverkehrs, ohne die Zersiedlung zu fördern. Die Innenstadt ist zu den Sperrzeiten wirklich autofrei.

    Die Zweiräder fahren vorsichtig. Fussgängerinnen und Fussgänger – Gross wie Klein – sind sicher.

    Die Plätze und Strassen verbinden, anstatt zu trennen. Sie laden ein zu Begegnung, Märkten, Spiel und Sport.

    Jede Renovation und jedes neue Haus genügen höchsten Energie-Standards.

    Basel baut neben «Life Sciences», Finanzwirtschaft und Logistik ein viertes starkes Standbein für «Cleantech» auf.

    Dreck wird allenthalben sofort geputzt (auch am Rheinufer), hässliche Graffiti verschwinden so schnell wie sie gesprayt wurden.

    Sicherheit ist gewährleistet, auch ohne Polizeistaat.

    Die Vorstellungen des Theater Basel sind überfüllt.

    Lebhafte öffentliche Diskussionen führen zu verblüffenden, mutigen Ideen und Lösungen für Basel.

    Was sagen uns diese willkürlich herausgegriffenen Beispiele? Es ist gar nicht so schwer, sich gute Nachrichten auszudenken. Mehr Kaurismäki und weniger Dürrenmatt brauchen wir nicht nur in Gedanken, sondern auch in der Tat.

  • Den Kunstmarkt wachküssen

    Ernst Beyeler dominierte über Jahrzehnte die Basler Galerienszene. Um ihn kamen Sammlerinnen und Sammler der klassischen Moderne – Einzelne, Firmen und Museen – kaum herum. Die «Fondation» in Riehen ist beredte Zeugin dieser Zeit. Sie wird uns hoffentlich noch lange mit so erstaunlichen Ausstellungen wie der laufenden Schau über Wurzeln, Wirken und Werke des Surrealismus beglücken.

    Seit die Galerie Beyeler geschlossen ist, gibt es in Basel keine Kunsthandlung mit globaler Ausstrahlung mehr. Wir leben von der gloriosen Vergangenheit. Basel als Kunststadt ist in erster Linie eine Museumsstadt und einmal im Jahr eine Art-Stadt. Was fehlt, ist der permanente Umsatz. Denn für ihre Entwicklung braucht die Kunst den Markt. Dieser sichert nicht nur Existenzen. Er urteilt auch und ist dadurch Ansporn, gestrenger Richter und Erneuerer in Einem.

    Seit dem Tod von Galerist Ernst Beyeler (Foto), hat es der Basler Kunsthandel schwer. Dabei wäre ein schlauer Kommerz das Lebenselixier der bildenden Kunst. Für eine Revitalisierung der Galerien-Szene braucht es nicht viel. Bild: Kurt Wyss

    Wenn Basel seine Kreativwirtschaft pflegen will, darf die Stadt keine Kunsthandels-Wüste (mit einzelnen Oasen) sein. Kunst und Kommerz sind siamesische Zwillinge. Gemeinsam bringen sie Ideen, Initiativen und Innovation voran.

    Es ist ja nicht so, dass es in Basel keine bildenden Künstlerinnen und Künstler gäbe. Im Gegenteil, ihre Zahl ist eindrücklich und die staatliche sowie private Förderung anständig. Der Basler Kunst-Zug fährt jedoch – auf sicheren Geleisen – nach Nirgendwo. Im besten Fall kommt er in Berlin, Zürich oder Rotterdam an.

    Eine vitale Galerienszene wäre das heute noch fehlende Anschlusswerk für aktuelle Kunst. Die Kunststadt Basel existiert in Silos: Hier die Spitzenmuseen, die sich Mühe geben – dort die Galerien, die dasselbe tun. Weshalb nicht zusammen spannen? Gehören Weltliga-Bilder, die keinen Platz finden in aktuellen Museums-Ausstellungen nicht ab und zu als temporäre Leihgaben in Galerien?

    Erhellendes, Unbekanntes, das in den Katakomben von Kunstmuseum, Kunsthalle, Fondation Beyeler oder gar eines lokalen «Global Player» vor sich hin döst, könnte Galerien für ein überregionales Publikum attraktiv gestalten helfen. Damit würden sie ihr aktuelles Angebot visuell kommentieren. Zum Beispiel: Ein junger Basler Künstler konfrontiert mit Braque. Die Braques wären natürlich nicht zu verkaufen, der junge Künstler hätte aber mehr Aufmerksamkeit, das Publikum mehr Anregung und grösseres Interesse.

    Dies ist eine Aufgabe für die Kulturabteilung des Präsidialdepartementes. Sie könnte als Patin den Basler Kunstmarkt mit den staatseigenen Beständen wachküssen helfen. Mit der Zeit liefe alles von selbst: Galerien als kleine Museen. Ernst Beyeler konnte dieses Konzept aus eigenen Beständen realisieren. Heute braucht es dafür Kooperationen.

  • Ode an Nichtwählende

    Nichtwählerin, Nichtwähler, gestatte, dass ich Dich duze. Nicht, weil wir eng befreundet wären und auch nicht, weil jetzt eine Moralpredigt von Vater zu Tochter oder Sohn folgt. Sondern weil Du mir nahe stehst. Nahe und doch so fern.

    Wenn man’s richtig bedenkt, ist es verwunderlich, dass rund die Hälfte des Stimmvolks an der bevorstehenden Wahl teilnimmt. Denn die Wahlverweigerer sind keinesfalls dümmer oder fauler, vielleicht sogar schlauer.

    Nahe stehst Du mir, weil ich mit Dir einig bin: Es kommt nicht darauf an, ob ich wählen gehe oder nicht. In meinen 40 Jahren als Stimmbürger habe ich noch nie erlebt, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Wenn ich stimmen ging, hatte ich keinen Einfluss auf das Ergebnis. Wenn ich einen Urnengang verpasste, krähte kein Hahn danach. Selbst beim knappsten Resultat, das ich je in Basel erlebte, gaben mehr als 50 Stimmen Unterschied den Ausschlag.

    Fern stehst Du mir, weil ich mein Stimm- und Wahlrecht fast immer ausübe. Meistens fülle ich die Zettel am gleichen Tag aus, an dem sie kommen. Und dann ab die Post, ohne Stress zum nächsten Briefkasten. Heute ist der letzte Tag, an dem dies noch möglich ist für die Parlamentswahl 2012.

    Es ist mir selbst unerklärlich, weshalb ich das tue, immer wieder. Mein Verhalten ist komplett irrational. Es ändert ja nichts. Es sieht’s ja keiner. Ich kann mich sogar als Wähler ausgeben, ohne einer zu sein. Was treibt mich denn dazu, mein Aktivbürgertum nicht nur zu behaupten, sondern tatsächlich auch zu leben? Und viele andere auch?

    Wenn man’s richtig bedenkt, ist es verwunderlich, dass rund die Hälfte des Stimmvolks an der Wahl teilnimmt. Verständlich ist hingegen, dass so viele wahlabstinent sind. Die Wahlverweigerer sind keinesfalls dümmer oder fauler, vielleicht sogar schlauer. Sie verlassen sich auf die andere Hälfte der Berechtigten: Ginge diese auch nicht hin, wäre keine Wahl mehr möglich. Dann lebten wir in einer Diktatur.

    Wählen zu gehen, ist also ein Akt der Solidarität. Nicht mit dem Staat und auch nicht mit den bedauernswerten Kandidierenden, sondern mit allen, die nicht wählen gehen. Ich tue es für Dich, liebe Nichtwählerin, lieber Nichtwähler! Und erwarte auch Deinen Dank. Aber bleibe ruhig zuhause, so hat meine Stimme mehr Gewicht. Ich treffe die Wahl zwischen neoliberal und sozial, zwischen national und multikulturell, zwischen reaktionär, konservativ und aufgeklärt, zwischen konstruktiv und destruktiv, melonen- und gurkengrün. Ich gebe die Richtung vor!

    Ich? Es kommt doch nicht darauf an. Meine Stimme gibt nie den Ausschlag. Es ist mein Mitgefühl, das mich an die Urne treibt. Niemand soll in einer Diktatur leben müssen, auch Nichtwählende nicht. Bleibe ruhig zuhause, meine Freundin, mein Freund, sonst verliere ich die Motivation, das Stimmcouvert einzuwerfen. Wehe, Du wählst jetzt noch! Dann hätte ich es eben so gut lassen können.

  • Poller sind toller

    Bleibt die Basler Innenstadt Einsatzschwerpunkt für Parkplatz-Politessen? Oder gibt es billigere, einfachere Lösungen, um sie für Fussgänger frei zu halten? Die Antwort haben andere Zentren (Foto: Milano-Brera) längst gefunden.

    Hans-Peter Wessels steht als Vorsteher des Bau- und Verkehrsdepartements Basel-Stadt vor einem wichtigen Entscheid: Bleibt die Altstadt Einsatzschwerpunkt für Parkplatz-Politessen? Oder gibt es billigere, einfachere Lösungen, um unbefugte motorisierte Besucher daran zu hindern, beispielsweise den wunderbaren, neuen Münsterplatz zu verschandeln? Die Antwort haben andere Zentren – ob gross oder klein – längst gefunden: Versenkbare Poller.

    Bergamo hat Poller.

    Milano hat Poller.

    Turin hat Poller.

    Bern und Zürich schützen ihre Altstädte mit Pollern.

    Brig hat Poller, ja, das autoverrückte Brig hat zahlreiche Poller!

    Locarno hat übrigens ebenfalls Poller.

    Und Ascona hat Poller.

    Sils (!) hat Poller.

    Siena hat Poller.

    New York hat Poller (und will noch viel mehr davon).

    London hat Poller (bewegliche und andere).

    Berlin hat Poller.

    Kopenhagen hat Poller.

    Moskau hat Poller.

    Warschau hat Poller.

    Tokyo hat Poller.

    Seoul hat Poller.

    Alle diese Städte haben versenkbare Strassen-Poller, die von Berechtigten fernbedient ein- und ausgefahren werden können, um zu passieren. Nur Basel diskutiert. Die Menschen sind hier gleich wie überall. Ihr Verkehrsverhalten ist gleich wie überall. Weshalb auf bewährte Lösungen verzichten? So anders ticken wir auch wieder nicht.