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Kulturwandel für Nachhaltigkeit

  • Sex and the Fasnacht

    Guy Morin eröffnete am Dienstag im Kongresszentrum die «Global Energy Basel». Diese weltweit führende Konferenz für nachhaltige Infrastruktur-Finanzierung brachte 300 Fachleute aus 40 Städten und 30 Ländern nach Basel. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie eine energieeffiziente Zukunft mit deutlich reduzierten Klimagas-Emissionen finanziert werden kann. Neben harter Arbeit am Thema, ist ein solches Treffen immer auch eine gute Gelegenheit, um sich in Pausen oder bei Essen über Sitten und Gebräuche in anderen Weltgegenden auszutauschen.

    Das letzte Tabu im sonst vorwärts und rückwärts analysierten, grössten Volksbrauch Basels ist die erotische Seite der Fasnacht. Man könnte den Eindruck gewinnen, die «drei seenschte Dääg» kämen ohne die «schönste Nebensache der Welt» aus. (Bild: keystone)

    So kam das Gespräch auf die bevorstehende Fasnacht. «Die Fitnesszentren in Basel müssen überfüllt sein», bemerkte eine Abgeordnete des Karibikstaates Trinidad-Tobago. Dieser Einwurf löste grosses Gelächter aus. In Trinidad-Tobago wie auch in Brasilien und anderen Ländern dieser Region ist die Hauptattraktion der Fasnacht, möglichst viel Haut zu zeigen und zu sehen. Die Erotik, inspiriert von Musik und Tanz, steht im Mittelpunkt. Knutschende Paare gehören zum Bild wie in Basel Laternen und Räppli. Wenig erstaunlich, dass die Menschen in den Wochen vor dem grossen Fest überflüssige Pfunde weghungern und ihren Körper auf Kraftstationen stählen.

    Ganz anders in Basel: Hier zeigt man an der Fasnacht so wenig Haut wie möglich. Sogar weniger als im Alltag. Niemand geht vorher ins Fitnesscenter. Erotisch aufgeladene Sprüche sind zwar möglich, aber eher selten. Kostüme mit sexuellen Anspielungen finden sich hauptsächlich auf Waggis-Wagen. Derbes und Anzügliche ist in Basel eher eine Randerscheinung, vor allem auch im Vergleich mit der expliziten Freizügigkeit der Fasnacht in der Ostschweiz oder am katholischen Unterrhein.

    «Sex und die Fasnacht» ist wohl das letzte Tabu im sonst vorwärts und rückwärts analysierten, grössten Volksbrauch Basels. «S glemmt», das Motto der Fasnacht 2012, gilt vielleicht nicht für alle Reisverschlüsse, aber kaum jemand spricht darüber. Man könnte den Eindruck gewinnen, die «drei scheenschte Dääg» kämen ohne die «schönste Nebensache der Welt» aus. Die erotische Fasnacht lebt, vor allem nach Mitternacht und mit ein paar Gläsern Wein oder Bier als Nachhilfe, aber wir haben noch nie ein solches Bild in der Zeitung gesehen. Von Rio, aber auch von Will (SG) gibt es diese Reportagen Jahr für Jahr.

    Für die Basler Fasnacht werden nicht alle Regeln ausser Kraft gesetzt, wie anderswo, sondern neue Regeln kommen hinzu. Die Fasnachtsregeln. Diskretion, symbolisiert durch die «Larve», ist der Fasnacht Lebenselixier. Das «Über die Schnur hauen» wird nicht propagiert, sondern gelebt, kultiviert – und verschwiegen. Manchmal braucht es einen internationalen Kongress, um sich das in Erinnerung zu rufen.

  • Lobbying als Polit-Manöver

    Sebastian Frehner will mit seiner neuen «Parlamentarischen Gruppe Region Basel» Nordwestschweizer Anliegen unter der Bundeshauskuppel besser vermarkten. Der Basler SVP-Nationalrat versammelt dafür nicht etwa alle Abgeordneten des Einzugsgebiets unter einem Dach, sondern nur ein paar seiner politischen Freunde. Begründung: Die «wirtschaftliche Ausrichtung» der Gruppe entspreche einem traditionell bürgerlichen Anliegen.

    In Bundesbern setzt sich nicht durch, wer das grösste Megaphon hat oder die nobelsten Mittagessen veranstaltet, sondern wem es gelingt, innovative Lösungen in einem hervorragenden Netzwerk zu platzieren. Weshalb die neue Lobby-Gruppe von Nationalrat Sebastian Frehner das Gegenteil erreicht. (Bild von Keystone)

    Dieser Standpunkt ist aus Basler Sicht unverständlich. Die Spitzen der tonangebenden Basler Unternehmen werden nicht müde zu betonen, wie zufrieden sie mit der Wirtschaftspolitik der rot-grünen Regierung sind. Dieser ist es gelungen, alte bürgerliche Kernanliegen zu verwirklichen: Sie hat die Steuern gesenkt, die Pensionskasse einvernehmlich saniert, das Baubewilligungs-Verfahren beschleunigt, Investitionen planerisch angestossen und Schulden abgebaut. Die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft sind besser als sie unter bürgerlichen Regierungen jemals waren. Es bleibt sein eigenes Geheimnis, weshalb Frehner Wirtschaftskompetenz vorwiegend den Bürgerlichen zuschreibt.

    Frehners Polit-Manöver ist genau so schleierhaft, wie es dumm wäre, wenn sich rot-grüne Abgeordnete einseitig zum Sprachrohr für Sozial- oder Umwelt-Anliegen der Region Basel ernennen würden. Denn es gibt weit und breit kein Bürgertum, das offener ist für gesellschaftliche oder ökologische Ideen als in Basel.

    Wenn die Nordwestschweiz in Bern einen Mehrwert bieten kann, dann gerade bei der Integration sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Ziele. Das wäre ein authentischer Standpunkt, der beachtet würde, wenn ihn alle Parteien der Region gemeinsam trügen.

    Die Kunst des Lobbyings ist es, die eigenen Interessen mit jenen der anderen zu verschmelzen. Frehners Schnellschuss geht hingegen von der Strategie aus, die Nordwestschweiz müsse in erster Linie lauter auftreten. In Bern setzt sich aber nicht durch, wer das grösste Megaphon hat oder die nobelsten Mittagessen veranstaltet, sondern wem es gelingt, innovative Lösungen in einem hervorragenden Netzwerk zu platzieren. Dazu gehört übrigens nicht nur die Bearbeitung des Parlaments, sondern auch der Verwaltung auf allen Ebenen.

    Es ist ein Geben und ein Nehmen, es geht um wechselnde Allianzen, aber erstaunlich oft auch einfach um gute Argumente. In vielen Fällen bleiben die Urheber einer Idee im Hintergrund, gelegentlich treten sie aber auch auf und werden als Persönlichkeiten mit Ausstrahlung und Einfluss erkannt und anerkannt.

    Das alles berücksichtigt Frehners Ansatz nicht, der die Nordwestschweiz eher weiter isoliert als intelligent ans System Bundesbern anschliesst. Ob die Lobbying-Stelle, die das Präsidialdepartement Basel-Stadt daselbst plant, eine bessere Alternative darstellt, ist zur Zeit noch offen.

  • Zeit für Adler

    Marcel Schweizer und Peter Malama sei Dank. Mit ihrer «Parkplatz-Initiative» hat das Führungsduo an der Spitze des Basler Gewerbeverbandes alles klar gemacht. Die Ablehnung mit einer Mehrheit von fast zwei Dritteln der Stimmen legt – zusammen mit drei weiteren Urnengängen der letzten 24 Monate – eine solide Basis für die Verkehrspolitik des Kantons. Jetzt ist die Zeit gekommen, von den Niederungen der Tagespolitik aufzusteigen und die ganze Region sowie einen längeren Zeithorizont ins Auge zu fassen.

    Jedes Unternehmen braucht eine Vision, jedes Gemeinwesen ein Leitbild. Unsere Vorstellungen der zukünftigen Mobilität prägen die Realität, wie sie die nächste Generation antreffen wird. Der Basler Regierungsrat muss regional eine Führungsrolle übernehmen.

    Es ist die Mobilität von Menschen, Ideen, Daten, Energie und Gütern, die eine Region zusammen hält. Der Adlerblick über die Stadt Basel mit 900 000 Einwohnern in drei Ländern, vier Kantonen und einer Vielzahl von Landkreisen, Distrikten und Gemeinden zeigt: Die Stadt ist weit davon entfernt, klug und weitsichtig verbunden zu sein. Es klaffen Lücken, weil sich kaum jemand zuständig fühlt, integrierend zu denken. Obwohl es zu diesem Zweck viele Gremien gibt. Auf diese zu warten, bringt aber wenig.

    Mit vier Volksentscheiden im Rücken, ist der Basler Regierungsrat verpflichtet und legitimiert, die Initiative zu ergreifen. Dies wird von ihm auch rundum erwartet. Denn Basel kann die verkehrspolitischen Aufträge der Wählerschaft aus rein städtischer Optik heraus gar nicht erfüllen. Es braucht dafür überlegte, übergeordnete und zugleich mutige Visionen. Daher ist es auch Zeit, das Wort «Visionen» zu rehabilitieren. Zu Unrecht kam es in Verruf, nach dem Motto: «Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.»

    Jedes Unternehmen braucht eine Vision, jedes Gemeinwesen ein Leitbild. Unsere Vorstellungen der zukünftigen Mobilität prägen die Realität, wie sie die nächste Generation antreffen wird. Es lohnt sich, hier zu investieren.

    Nur auf diesem Weg sehen wir, dass zum Beispiel eine direkte Verbindung vom Bahnhof SBB über den Flughafen in Richtung Freiburg im Breisgau (mit einer neuen Rheinbrücke auf der Höhe des Kraftwerks Kembs) Sinn macht und die Reisezeiten auf der Nord-Süd-Strecke deutlich verkürzt. Nur so erschliesst sich die Dringlichkeit des S-Bahn-Herzstücks unter der Basler Innenstadt. Aus der Froschperspektive des Marktplatzes leuchtet dieses Projekt kaum ein.

    Ein neuer Hafen rechtfertigt sich nur im weiteren Kontext. Die Vernetzung der Energiesysteme oder von Datenleitungen ist zwar weniger sichtbar, aber ebenso dringend wie produktiv. Basel an der Schnittstelle von drei Ländern hat hier ein grosses Potenzial.

    Solche Chancen werden aber nur greifbar, wenn sich der Kanton Basel-Stadt zwei Dinge zutraut: Erstens eine Führungsrolle zu übernehmen und zweitens eine Vision fürs grosse Ganze zu entwickeln. Dass diese anschliessend in einem offenen und intensiven Dialog mit den Nachbarn geschärft, überarbeitet und in eine verbindliche Form gebracht werden muss, versteht sich von selbst.

  • Bio versus Öko

    Cordula, die mich manchmal am Biostand auf dem Marktplatz bedient, packte zähneklappernd meine Gemüse ein und wünschte mir einen schönen Tag. In der dunklen Jahreszeit erinnert mich der Basler Markt an den winterlichen Roten Platz: Es weht ein Hauch von Moskau über dem eisigen Pflaster, und das Rathaus thront darüber, als wäre es ein kleiner Kreml. Nur noch vereinzelte Stände bieten der scharfen Bise die Stirn wie die obersten Bonsai-Tannen an der Baumgrenze.

    Es ist mitten im Winter, und die Dame verlangt Ratatouille! Ausgerechnet am Biostand! Was haben in dieser Jahreszeit Tomaten, Auberginen und Zucchini auf dem ausgedünnten Markt zu suchen? Lustvoll essen ist anders.

    Cordula fragte in die wartende Runde: «Wer ist als Nächster dran?» Neben mir räuspert sich eine gut eingepackte Dame mit adretter Wollmütze: «Ich hätte gern alles für Ratatouille!» Verdutzt bleibe ich stehen. Neben Zwiebeln und Knoblauch postet sie Auberginen, Peperoni in allen Farben, Tomaten, Zucchini, Chilischoten. Alles da.

    Es ist mitten im Winter, und die Dame verlangt Ratatouille! Ausgerechnet am Biostand! Was haben daselbst Tomaten, Auberginen und Zucchini zu suchen? Wer Bio einkauft, tut dies der Umwelt zuliebe. Februar-Tomaten aus Marokko oder Südspanien schaden jedoch der Umwelt. Bio hin oder her. Aus ökologischer Sicht habe ich im Winter lieber einen lokalen Lauch aus chemischer Produktion, als einen Bio-Brokkoli aus Sizilien. Der Brokkoli wächst jetzt in beheizten Treibhäusern und wird über hunderte Kilometer im Lastwagen hergekarrt. Bio hin oder her.

    Fragt man am Biostand nach, weshalb jetzt Sommergemüse im Angebot sind, dann wird eher mürrisch auf die Kunden-Nachfrage verwiesen. Dasselbe Lied beim Grossverteiler: Es muss immer alles verfügbar sein, auch im Biosortiment. Wer hat als erster den Mut, sich wenigstens beim Bio-Angebot auf Saisonales zu konzentrieren? Keine weit gereiste Importware mehr, dafür mehr verschiedene Rübli, winterharte Salate, Randen und Kohlarten anzubieten? Mit leckeren Rezepten und Aktions-Ständen?

    Es geht nicht nur um die Umwelt. Die Saison auf dem Teller bringt auch mehr Freude. Freude auf die ersten Spargeln aus dem Elsass, Freude an reifen, schmackhaften Erdbeeren zur richtigen Zeit. Mehr Bewusstsein dafür, wie die Landwirtschaft, wie die Natur funktionieren – gerade in Haushalten mit Kindern. Mehr kulinarische Abwechslung sogar: Denn es braucht etwas Phantasie, um mit Sellerie und Rotkraut, Marroni und Gelben Rüben, Wirsing und Pastinaken ein tolles Menu zu komponieren.

    Gelegentliche Abstecher in die Welt der Zitrusfrüchte oder eine kleine Umweltsünde wegen einem verlockenden Rezept gehören mit einem Augenzwinkern dazu. Dass die freundliche Dame ein sommerliches Kontrastprogramm auf ihren Teller zaubern wollte, ist bei den heutigen Temperaturen gut nachvollziehbar, aber alles andere als ökologisch.

    Saisonal essen bedeutet die Jahreszeiten zu erleben statt sich nur zu ernähren. Im Winter fahren wir Ski, im Sommer baden wir im Fluss. Wenn wir uns nicht auch beim Essen lustvoll nach dem Wetter richten: Wozu soll sonst die verdammte Kälte gut sein?

  • Die Krux mit der BaZ

    Ein alter Bekannter tippte mir kürzlich in der Warteschlange eines Bahnhofskiosks auf die Schulter. Ich hatte gerade die BaZ erstanden (weil mein abonniertes Exemplar zuhause liegen geblieben war). «Kaufst Du noch die BaZ?», fragte er entrüstet. «Ja», antwortete ich. «Ich boykottiere sie konsequent wegen Blocher und Somm», gab der Kollege zurück. Wir gingen gemeinsam Richtung Rolltreppen. Da kam ihm in den Sinn: «Klar liest Du die BaZ, du schreibst ja auch regelmässig eine Kolumne, da musst du sie haben.» Da war ich baff: «Woher weisst du das, wenn du die BaZ boykottierst?» Wir mussten beide lachen.

    Wollen wir wirklich den Zusammenbruch der BaZ? Was wäre die Alternative? Wahr-scheinlich ein Kopfblatt der NZZ oder des Tages-Anzeigers, deren Besitzer ebenfalls klar bürgerlich positioniert sind. Basel braucht eine unabhängige Tageszeitung mit Absender Basel und Basler Identität.

    Wohin ich auch gehe, werde ich so angesprochen. Eine Zeit lang war der Ton eher aggressiv, neuerdings neugierig, ob ich nie zensuriert würde. Ich verneine. In solchen Gesprächen fällt mir regelmässig auf, dass viele, auch bürgerliche Leser, die heute noch die BaZ im Briefkasten haben, ernsthaft ankündigen, bei der nächsten Abo-Rechnung auszusteigen. Daraus schliesse ich, dass die Erosion der BaZ-Abonnentenzahl noch mindestens ein Jahr weiter gehen wird. Das ist existenzbedrohend. Denn ohne Leserinnen und Leser gibt es auch keine Inserate mehr.

    Die «Rettet Basel»-Bewegung hat inzwischen fast 20 000 namentlich bekannte Fans. Diese und viele andere würden eher einen Zusammenbruch der BaZ in Kauf nehmen als eine Zeitung, die Christoph Blocher finanziert und Markus Somm leitet. Wegen Querschlägern unter die Gürtellinie aus der Feder des Chefredaktors und neoliberalen Hintermännern wird die BaZ als rechtes Kampfblatt wahrgenommen. Jeder Artikel mit Rechtsdrall gilt als «typisch BaZ», eher links eingefärbte Beiträge werden als «Feigenblätter» apostrophiert. Die Fronten sind verhärtet.

    Der heutige Verleger, Tito Tettamanti, hat sich das Problem selbst eingebrockt, indem er und seine Entourage die frühere BaZ öffentlich als «linke Zeitung» einordneten. Dies ist natürlich Mumpitz. Die frühere BaZ war zu besten Zeiten ein Forumsblatt, politisch meist ein Eunuch. Oft war sie deshalb langweilig im Vergleich zum farbenfrohen Strauss an journalistischen Leistungen und Meinungen, die uns heute täglich freuen oder ärgern.

    Die Frage stellt sich: Wollen wir wirklich den Zusammenbruch der BaZ? Was wäre die Alternative? Wahrscheinlich ein Kopfblatt der NZZ oder des Tages-Anzeigers, deren Besitzer übrigens auch klar bürgerlich positioniert sind. Unbestritten ist: Basel braucht eine unabhängige Tageszeitung mit Absender Basel und Basler Identität. In welcher Form die BaZ dies leisten kann, ist offen. Sie leichtfertig abserviert zu haben, könnte manchen später reuen.

    Aber eben: Die Wahrnehmung ist entscheidend. Auf dem Weg in den Abgrund ist ein Zwischenhalt zu empfehlen. Es wäre Basel zu wünschen, dass sich das Blatt noch wenden lässt.

  • Mehr Parkplätze = weniger Drämmli

    Christophe Haller, Präsident des TCS beider Basel, träumt von der autogerechten Stadt. Daher wirkt er führend im Komitee «Ja zur Parkrauminitiative» mit. Seine Initiative möchte den Bau von neuen Tiefgaragen und Parkhäusern fördern und die Erstellung von Parkplätzen in Vorgärten und Hinterhöfen ermöglichen, sowohl in den Quartieren als auch in der Innenstadt.

    Die schlimmste Auswirkung einer Annahme der Parkrauminitiative wäre nicht der Bau von neuem Parkraum oder der zusätzliche Verkehr, sondern der Abbau bei Tram und Bus, der dadurch drohte.

    Wenn Sie an einen Ort fahren wollen, tun Sie das nur, wenn es dort einen Parkplatz hat. Es gilt die einfache Formel: Ohne Parkplatz kein Autoverkehr. Und je mehr Parkplätze um so mehr Zu- und Wegfahrten. Je näher ein Parkplatz beim Zentrum liegt um so begehrter und teurer ist er. Je teurer ein Parkplatz ist, um so kürzer wird darauf parkiert. Je kürzer parkiert wird um so öfter führt dies zu Verkehrsbewegungen.

    Zusammengefasst: Je zentraler der Parkplatz um so grösser der finanzielle Anreiz, ihn zu bauen und um so mehr Verkehrsbewegungen erzeugt er. Deshalb sind besonders Parkplätze im Stadtzentrum Gift für die verstopften Verkehrswege: Sie führen zu deutlich mehr Autoverkehr, mehr Lärm, Verunstaltung, Gefahren und Gestank (vor allem auch im Vergleich zu billigen Parkplätzen in den Quartieren, wo manchmal tagelang die gleichen Autos abgestellt sind). Diese Schattenseite ist allen bekannt.

    Aber es gibt noch eine andere Konsequenz, über die kaum jemand spricht: Jeder zusätzliche Autofahrer ist ein Bus- und Trampassagier weniger. Wenn die Nachfrage nach den Leistungen des öffentlichen Verkehrs sinkt, wächst die Gefahr, dass Kurse gestrichen und ganze Linien ausgedünnt werden. Und es wird weniger investiert. Die reduzierte Attraktivität des öffentlichen Verkehrs bietet wiederum einen neuen Anreiz,  mit dem Auto zu fahren, wodurch die Nachfrage nach Parkplätzen steigt. Mehr Parkplätze bedeuten wieder mehr Autos auf der Strasse. Ein Teufelskreis kommt in Gang.

    Die Bevorzugung des öffentlichen Verkehrs mit eigenen Spuren und Grünphasen an den Ampeln gerät unter Druck, wenn die Autos öfters in Kolonnen neben einer freien Tram- und Bus-Trasse stehen. Bald ist es vorbei mit dem Vortritt der BVB. Wer dies nicht glaubt, schaue um ein paar Jahrzehnte zurück, als die «Drämmli» noch regelmässig im Autoverkehr stecken blieben (wie heute noch manche Busse). Oder blicke nach Genf, wo Trams wegen Autoschlangen nicht vorwärts kommen.

    Die schlimmste Auswirkung einer Annahme der Parkrauminitiative oder des Gegenvorschlags wäre nicht der Bau von neuem Parkraum oder der zusätzliche Verkehr, sondern der Abbau bei Tram und Bus, der dadurch drohte. Getroffen würden die Schwachen, die Alten und die Jungen, die sich noch kein Auto leisten können.

  • Wie der Baum ins Sarasin-Logo kam

    Die Schlange war listiger als alle Tiere des Feldes, die Gott der Herr gemacht hatte; und sie sprach zum Weibe: «Hat Gott nicht gesagt, ihr dürft essen von jedem Baum im Garten?» Da sprach das Weib zur Schlange: «Wir essen von der Frucht der Bäume im Garten, aber von der Frucht des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon und rührt die Früchte auch nicht an, damit ihr nicht sterbet!» Da sprach die Schlange zum Weibe: «Ihr werdet sicherlich nicht sterben! Sondern Gott weiss: Am Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist.»

    Adam sprach: «Das Weib, das du mir zugesellt hast, die gab mir von dem Baum, und ich ass!» Da sprach Gott der Herr zum Weibe: «Warum hast du das getan?» Das Weib antwortete: «Die Schlange verführte mich, dass ich ass!».

    Als nun das Weib sah, dass von dem Baume gut zu essen wäre und dass er eine Lust für die Augen und ein wertvoller Baum wäre, weil er klug machte, da nahm sie von dessen Frucht und ass und gab zugleich auch ihrem Mann davon, und er ass.

    Da wurden ihrer beider Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, dass sie nackt waren; und sie banden Feigenblätter um und machten sich Schürzen. Und sie hörten die Stimme Gottes, des Herrn, der im Garten wandelte beim Wehen des Abendwindes; und der Mann und sein Weib versteckten sich vor dem Angesicht Gottes des Herrn hinter den Bäumen des Gartens.

    Da rief Gott der Herr dem Mann und sprach: «Wo bist du?» Adam sprach: «Ich hörte deine Stimme im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum verbarg ich mich!» Da sprach Gott: «Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du etwa von dem Baum gegessen, davon ich dir gebot, du sollest nicht davon essen?» Da sprach Adam: «Das Weib, das du mir zugesellt hast, die gab mir von dem Baum, und ich ass!» Da sprach Gott der Herr zum Weibe: «Warum hast du das getan?» Das Weib antwortete: «Die Schlange verführte mich, dass ich ass!»

    Da sprach Gott der Herr zur Schlange: «Weil du solches getan hast, so seist du verflucht vor allem Vieh und vor allen Tieren des Feldes!» (…) Und zum Weibe sprach er: «Ich will dir viele Schmerzen durch häufige Empfängnis bereiten; mit Schmerzen sollst du Kinder gebären; und du sollst nach deinem Manne verlangen, er aber soll herrschen über dich!» Und zu Adam sprach er: «Dieweil du gehorcht hast der Stimme deines Weibes und von dem Baum gegessen, davon ich dir gebot und sprach: ,Du sollst nicht davon essen’, verflucht sei der Erdboden um deinetwillen, mit Mühe sollst du dich davon nähren dein Leben lang (…). Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zur Erde kehrst, von der du genommen bist; denn du bist Staub und kehrst wieder zum Staub zurück.» (1. Buch Moses, Kapitel 3).

  • La ballade des gens heureux

    Gerhard Lips findet es normal, dass Menschen spontan auf Strassen und Plätzen festen. Selbst wenn Hunderte zusammentreffen oder gar Tausende, wie bei einer Meisterfeier, braucht es dafür nach Ansicht des Basler Polizeikommandanten weder eine Bewilligung noch ist das ein Sicherheitsproblem. Die blosse Bildung von feucht-fröhlichen Menschentrauben zu beargwöhnen oder gar zu bekämpfen, würde in der Tat einen Polizeistaat wie in Weissrussland bedingen.

    Die von Regierungsrat Carlo Conti (im Bild ganz rechts) geforderte Orientierung an Potenzialen (neue Wohnungen, „Life Sciences“, Kulturstadt) ist für Basel gut und wichtig. Ein zentraler Vor-satz für 2012 müsste jedoch lauten, wieder einmal die Defizite der Stadt genauer unter die Lupe zu nehmen und Strategien für die Leidtragenden umzusetzen.

    Dennoch erschallt in solchen Fällen vermehrt der Ruf nach «Ruhe und Ordnung». Das wachsende Unbehagen steht auch im Zusammenhang mit Gewaltakten gegen willkürlich herausgegriffene Opfer auf der Strasse. Ein drittes Phänomen, das manche beschäftigt, ist der Themenkomplex «Littering», Schmierereien und Vandalismus. In der Weihnachtszeit spitzten sich überdies gefährliche Konflikte im Verkehr zu. Laut Bevölkerungsbefragung fühlen sich die Menschen unsicherer als früher.

    Wenn der öffentliche Raum zur Kampfzone wird, ist dies ein Warnsignal für den Zustand der Gesellschaft. Je stärker die kommerzielle Nutzung des öffentlichen Raums dominiert, um so mehr drängen Benachteiligte mit störendem oder illegalem Verhalten auf den Marktplatz der Aufmerksamkeit. Die tiefer liegende Ursache des Aufruhrs ist jedoch die wachsende Diskrepanz zwischen oben und unten, zwischen politisch, wirtschaftlich und kulturell Beteiligten und Personen, die aussen vor bleiben.

    Das Ventil der Unrast lässt sich nur beschränkt mit polizeilichen Mitteln abdichten. Gesellschaftliche Polarisierung führt speziell wenn Krisen drohen zu Hass und Häme. Sozialer Ausgleich war die Grundlage der früher sprichwörtlichen Basler Toleranz und Gelassenheit. Auf dieses Kerngeschäft sollten sich die Sozialdemokraten besinnen, wenn sie sich in der Sicherheitspolitik engagieren wollen. Als Regierungsrat Carlo Conti letzten Montag, am Neujahrsempfang der Basel-Städtischen Exekutive, von «verhältnismässig kleinen» Problemen sprach, täuschte er sich.

    Zwar gibt es eine breite, wohlhabende Ober- und Mittelschicht, die mit dem Französischen Barden Gérard Lenorman das Lied der glücklichen Menschen («La ballade des gens heureux») singt. Daneben wächst aber die Zahl der Unzufriedenen. Dieser Gruppe zuzuhören, ihre Sorgen und Nöte, die nicht nur materieller Art sind, aufzugreifen, würde Zeit und ein wenig vom wachsenden Bruttosozialprodukt kosten. Dies lohnte sich jedoch, um die Stadt wirklich ganzheitlich zu entwickeln. Die Orientierung an Potenzialen (neue Wohnungen, «Life Sciences», Kulturstadt) ist gut und wichtig. Ein zentraler Vorsatz der Regierung für 2012 müsste jedoch sein, wieder einmal die Defizite Basels genauer unter die Lupe zu nehmen und Strategien für die Leidtragenden umzusetzen.

  • Eine Stadt, die Zeit hat

    René Kamm bedauert, dass Basel zu wenig attraktiv sei für Konsumorientierte. Insbesondere kritisiert der Messechef Strukturmängel im Angebot. Was er damit meint, ist die Schwierigkeit, die Stadt als Einkaufstourist zu verstehen.

    Basel ist die am wenigsten gestresste Stadt der Schweiz. Eine Stadt, deren Geflecht unverplante Zeit für persönlichen Austausch freisetzt, ist sozial stabiler, kulturell aktiver und politisch dynamischer. So kommen Ideen in die Welt.

    Tatsächlich ist die Orientierung für Ortsfremde nicht einfach. Luxusangebote funkeln bloss verhalten. Billigmeilen platzieren sich an unerwarteter Stelle – zum Beispiel an der Clarastrasse. Wer Spezielles, etwa Kunst, Möbel oder einen Computer sucht, muss jeweils Eingeweihte nach der angesagten Adresse fragen. Basel ist als Einkaufsstadt verwirrend. «Glatti, glaini Läädeli» beispielswiese, liegen überall verstreut: An der Feldberg- und Güterstrasse, in der Rheingasse oder in den Vorstädten Richtung St. Johann-, St. Alban- und Spalentor.

    Der gehetzte Besucher globaler Messen verlöre viel wertvolle Zeit, wollte er alle diese Orte abklappern. Effizienter erschliesst sich ihm das Konsumangebot mit einem Katzensprung an die Zürcher Bahnhofstrasse: Dort reihen sich die begehrten Gucci-Gadgets und Armani-Accessoires umstandslos auf. Und in Seitengassen lauern, Begleitfischen ähnlich, die persönlicheren Geschäfte. Geradezu bedrohlich wirkt dieses wohlformierte Verkaufs-Geschwader auf den versprengten Haufen des Basler Detailhandels.

    Dass René Kamm dies beklagt, ist nachvollziehbar. Aber ist es auch schlimm? Schauen wir die Geschichte zum Jahresende von einer anderen Seite an: Es ist doch erfreulich, dass Basel trotz zunehmendem internationalem Erfolg sich selbst bleibt. Unsere Vielvölkerstadt ist facettenreich statt nur oberflächlich zugänglich. Sie taugt für eine Langzeit-Beziehung, ohne je langweilig zu sein. Wer sich auf das Profil dieser Polis einlässt, bekommt ein grosses Geschenk: Mehr Zeit.

    Diesen Monat erschien eine Umfrage, die nachwies, dass Basel die am wenigsten gestresste Stadt der Schweiz ist. Das kann gut mit der gemässigten Konsumorientierung zu tun haben. Wer bedächtig einkauft, achtet auf Qualität, spart mehr, verschuldet sich weniger und muss auch weniger arbeiten. Der Sparbatzen vermittelt Sicherheit.

    Von der Stressarmut profitieren die tollen Cafés und Konditoreien: Dort setzen sich entspannte Stadtbummler hin, wenn sie sich spontan begegnen und gemeinsam den Augenblick geniessen wollen. Eine Stadt, deren Geflecht unverplante Zeit für persönlichen Austausch freisetzt, ist sozial stabiler, kulturell aktiver und politisch dynamischer. So kommen Ideen in die Welt.

    Basel ist überdies eine Stadt der kurzen Wege, des Fahrrades und des Trams. Auch damit sparen wir täglich wertvolle Minuten und Stunden, sei es beim Pendeln oder in der Freizeit. Halten wir es im neuen Jahr weiterhin so. Und für den Konsum ist trotzdem alles da. Fragen Sie im Zweifel einen Nachbarn.

  • 1 Bild sagt mehr als 1000 Worte

    Der Messerstecher aus dem geschmacklosesten Inserat, das die SVP je geschaltet hat, ist 20 Jahre später auf der Titelseite der BaZ (vom letzten Dienstag) angelangt. Zum Frühstück wird die Rest-Leserschaft von drei Kapuzenträgern begrüsst, die offensichtlich einer kriminellen Bande angehören. Die Gewaltbereitschaft signalisierenden Figuren sind düster und unscharf abgebildet. Der optische Focus liegt im Vordergrund, auf einem nach oben gerichteten, blitzenden Stellmesser. Ein drohend blickender junger Mann streckt es in krampfhaft geballter Faust dem Betrachter entgegen.

    Der Messerstecher aus dem geschmacklosesten Inserat, das die SVP je geschaltet hat, ist auf der Titelseite der BaZ (vom letzten Dienstag) angelangt. Wie hat Basel das verdient?

    Über diesem Aufmacher-Foto steht die Schlagzeile: «Bei der Sicherheit schneidet Basel schlecht ab.» Im Frühjahr 1992, beim Messerstecher-Inserat der SVP, lautete der Titel: «Das haben wir den Linken und den Netten zu verdanken.» Auch damals spielte die Blocher-Partei auf die allgemeine Sicherheitslage an. Zugleich versuchte sie, ihren politischen Gegnern den spektakulären Mordfall von Zollikerberg in die Schuhe zu schieben.

    Wenn der jüngste Messerstecher-Missgriff die Zukunft der führenden regionalen Zeitung darstellt, dann hat sie wirklich keine Zukunft. Denn Basel akzeptiert den SVP Zürich Stil nicht. Vielleicht erschien die Foto auf Anordnung eines Chefs in dieser Form. Oder es handelte sich um einen Fall vorauseilenden Gehorsams gegenüber dem Financier im Hintergrund. Egal. Harmlos ist es in keinem Fall, auch wenn nun wohl gespielt-naiv argumentiert wird: Es ist doch nur ein Bild, und der Text ordne das ganze ein, genüge mithin allen journalistischen Grundsätzen. Genau darin liegt das Perfide: «1 Bild sagt mehr als 1000 Worte», lernt jeder Journalistenschüler rund um den Globus.

    Entscheidend ist der Kontext: Die Bedrohungslage (optisch) aufzuheizen ist eine bewährte Technik, um Menschen zu verunsichern und nach totalitären Lösungen rufen zu lassen. Dies passt zur Rhetorik im Umfeld der jüngsten BaZ-Wirren: Christoph Blocher fühlt sich von der Kritik an seiner Heimlichtuerei rund um die Besitzverhältnisse dieser Zeitung an die «Judenverfolgung» erinnert. Diese Aussage war ein gravierender Fehler. So lange er sich für diesen schrägen Vergleich nicht entschuldigt, ist die anschwellende Feindseligkeit gerechtfertigt, die ihm in seiner Rolle als «BaZ-Retter» entgegen schlägt. Die Debatten scheinen nie mehr abzureissen.

    Wann – endlich! – geht dieses Drama zu Ende, das mit der unseligen Fusion von «National-Zeitung» und «Basler Nachrichten» vor bald 40 Jahren ihren Anfang nahm? Basel hat qualitativ hochstehende, dem städtischen Geist entsprechende, starke, witzige und intellektuell herausfordernde Medien verdient. Trotz neu aufblühender «Vielfalt» sind wir weiter davon entfernt denn je.