Anfangs der 80-er Jahren war Basel eine Schmutzstadt: Ein Schwumm im Rhein bescherte Ausschläge, ein Schluck daraus Durchfall. Die Luft war geschwängert von Abgasen aus Autos, Heizungen und Chemie. Einziger Trost: «Littering» gab es damals weder als Tätigkeit noch als Begriff.

Wenn füllige Regierungsräte morgens ins Büro strampelten, anstatt das Auto zu nehmen, war das noch eine Schlagzeile samt Zeitungsfoto wert. Das Rad erlaubte es auch älteren Semestern Eigenschaften wie Jugendlichkeit, Sportsgeist und Individualismus zur Schau zu tragen. Der Velofahrer war ein sauberer, ja, mutiger Musterbürger. An der Umweltmisere trug er keinerlei Schuld. Und er war frei.
Frei beispielsweise, die Verkehrsregeln zu missachten. Denn die moralische Überlegenheit des Velos war im Vor-Katalysator Zeitalter so offensichtlich, dass ihm andere Verkehrsteilnehmer, insbesondere motorisierte, schuldbewusst den Vortritt liessen.
Aus dieser Periode stammt die Mentalität, die eine Minderheit der Radler noch heute beseelt: Ein Fahrrad darf alles. Links und rechts überholen, irgendwo rasch abbiegen, bei Rot über die Kreuzung, auf dem Trottoir und auf Spazierwegen rasen. Wem fiel das schon gross auf, bevor das Velofahren als «Biken» so richtig in Mode kam?
Meine Kolumne von letzter Woche über die Velo-Parkplatznot löste eine Flut von Tiraden über frech flitzende Zweiräder aus. Ein Muster: «Vielmehr würde mich freuen, wenn Sie über die Verwilderung auf Basels Strassen durch die Velofahrer schreiben würden.» Bitte sehr: Wenn eine Pioniertat zum Massenphänomen mutiert, sind neue Normen nötig. So gelten seit es Stau gibt am Mount Everest andere Regeln als bei der einsamen Erstbesteigung durch Edmund Hillary und Sherpa Tensing Norgay 1953.
Neue Regeln sind nicht gleich bedeutend mit neuen Vorschriften. Die bestehenden Paragraphen genügen durchaus. Will das Fahrrad jedoch seine Vormachtstellung als bevorzugtes Stadtvehikel beibehalten oder gar ausbauen, müssen sich dessen Lenker neu orientieren. Ich plädiere nicht für sklavisches Befolgen des Strassenverkehrsgesetzes. Nachts um zwei Uhr stört es kaum, wenn ein Pedaleur angesäuselt und in die falsche Richtung die Freie Strasse hinauf hechelt. Aber nachmittags um zwei sehr wohl, wenn einer im Karacho hinunter blocht.
Niemand war auf diesen Fahrrad-Boom vorbereitet. Aber jetzt, wo er erfreulicherweise da ist, müssen sich alle Beteiligten neu orientieren. Das gilt zunächst für die Basler Infrastruktur-Entwickler: Von einer velogerechten Stadt sind wir noch weit entfernt. Auf der anderen Seite begründet Velofahren auch keine Vorrechte mehr. Die höhere Moral der Radler ist jetzt an ihr Verhalten gebunden. Rücksicht ist ein kleines Opfer, das die Reisegeschwindigkeit kaum einschränkt und noch weniger den Genuss.
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