Gerhard Lips findet es normal, dass Menschen spontan auf Strassen und Plätzen festen. Selbst wenn Hunderte zusammentreffen oder gar Tausende, wie bei einer Meisterfeier, braucht es dafür nach Ansicht des Basler Polizeikommandanten weder eine Bewilligung noch ist das ein Sicherheitsproblem. Die blosse Bildung von feucht-fröhlichen Menschentrauben zu beargwöhnen oder gar zu bekämpfen, würde in der Tat einen Polizeistaat wie in Weissrussland bedingen.

Dennoch erschallt in solchen Fällen vermehrt der Ruf nach «Ruhe und Ordnung». Das wachsende Unbehagen steht auch im Zusammenhang mit Gewaltakten gegen willkürlich herausgegriffene Opfer auf der Strasse. Ein drittes Phänomen, das manche beschäftigt, ist der Themenkomplex «Littering», Schmierereien und Vandalismus. In der Weihnachtszeit spitzten sich überdies gefährliche Konflikte im Verkehr zu. Laut Bevölkerungsbefragung fühlen sich die Menschen unsicherer als früher.
Wenn der öffentliche Raum zur Kampfzone wird, ist dies ein Warnsignal für den Zustand der Gesellschaft. Je stärker die kommerzielle Nutzung des öffentlichen Raums dominiert, um so mehr drängen Benachteiligte mit störendem oder illegalem Verhalten auf den Marktplatz der Aufmerksamkeit. Die tiefer liegende Ursache des Aufruhrs ist jedoch die wachsende Diskrepanz zwischen oben und unten, zwischen politisch, wirtschaftlich und kulturell Beteiligten und Personen, die aussen vor bleiben.
Das Ventil der Unrast lässt sich nur beschränkt mit polizeilichen Mitteln abdichten. Gesellschaftliche Polarisierung führt speziell wenn Krisen drohen zu Hass und Häme. Sozialer Ausgleich war die Grundlage der früher sprichwörtlichen Basler Toleranz und Gelassenheit. Auf dieses Kerngeschäft sollten sich die Sozialdemokraten besinnen, wenn sie sich in der Sicherheitspolitik engagieren wollen. Als Regierungsrat Carlo Conti letzten Montag, am Neujahrsempfang der Basel-Städtischen Exekutive, von «verhältnismässig kleinen» Problemen sprach, täuschte er sich.
Zwar gibt es eine breite, wohlhabende Ober- und Mittelschicht, die mit dem Französischen Barden Gérard Lenorman das Lied der glücklichen Menschen («La ballade des gens heureux») singt. Daneben wächst aber die Zahl der Unzufriedenen. Dieser Gruppe zuzuhören, ihre Sorgen und Nöte, die nicht nur materieller Art sind, aufzugreifen, würde Zeit und ein wenig vom wachsenden Bruttosozialprodukt kosten. Dies lohnte sich jedoch, um die Stadt wirklich ganzheitlich zu entwickeln. Die Orientierung an Potenzialen (neue Wohnungen, «Life Sciences», Kulturstadt) ist gut und wichtig. Ein zentraler Vorsatz der Regierung für 2012 müsste jedoch sein, wieder einmal die Defizite Basels genauer unter die Lupe zu nehmen und Strategien für die Leidtragenden umzusetzen.
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