wiener.swiss

Kulturwandel für Nachhaltigkeit

Freie Plätze für freie Menschen

Ulrich Weidmann ist Professor für Verkehrssysteme an der ETH Zürich und hat kürzlich in seiner Heimatstadt Aufsehen erregt, als er vorschlug, im Zentrum alle Tramlinien in den Untergrund zu verlegen. 10 Kilometer Tunnel für etwa 2,5 Milliarden Franken möchte er graben. Damit sollen auf Plätzen und Strassen neue Freiräume für Fussgänger entstehen.

Damit die alte Liebe zum Tram nicht rostet: Ade «grüne Wand» in der Innenstadt. (Foto: Dominik Madörin, Ettingen)

Relativiert wird des guten Herrn Weidmanns
Idee durch seine eigene Einschätzung der Planungs- und Bauzeiten: Er rechnet mit einer Vorbereitungsphase bis 2026 und der Vollendung des Mammut-Projekts gegen die Mitte des Jahrhunderts.

Kommentar der Architekturzeitschrift «Hochparterre»: «Ob sich Stadt und Kanton Zürich und auch der Bund ein solches Projekt leisten können, ist eine politische Frage. (Lehrstück in Klammern: Bundessubventionen für ein lokales Verkehrsprojekt setzen andere als selbstverständlich voraus.)

Im Übrigen stimmt «Hochparterre» Weidmann zu: Der öffentliche Verkehr werde in Zürich ohne Entlastung «den Stadtraum immer mehr dominieren». Für Basel gilt das schon lange, vor allem zwischen Theater und Schifflände. Doch am Rheinknie wäre die Lösung nicht erst in 40, sondern schon in vier Jahren zu haben, zu höchstens einem Zehntel der Kosten:

Als das «Drämmli» noch klein und harmlos war: Basler Marktplatz mit Strassenbahn um 1910 (Postkarte Sammlung H.Ziegler).

Der erste Schritt ist der Bau eines Tramgeleises durch den Petersgraben. Diese Trasse von vielleicht 400 Metern gab es früher schon mal. Alle Linien, die heute zwischen Barfi und Schifflände verkehren, könnten beim Theater oder am Steinenberg (vor dem Casino) halten. Dann würden sie den Kohlenberg hoch fahren und durch den Petersgraben zum Totentanz beziehungsweise zur Schifflände gelangen, mit Zwischenhalten, welche die Grossbasler Innenstadt erschliessen.

Der zweite Schritt ist der Bau des Trams vom Bahnhof SBB über den Heuwaage-Viadukt, weiter via Petersgraben und über die Johanniterbrücke zum Badischen Bahnhof, wie es eine Volksinitiative verlangt. Dies entlastet einige verstopfte Linien und bedient das Kleinbasel mit einer Schnellverbindung.

Der Doppelschritt befreit Strassen und Plätze für Menschen: Von einem Tag auf den anderen wäre die oft beschimpfte «grüne Wand» in der Grossbasler Innenstadt Geschichte. Dazu kämen vier attraktive Plätze an zentraler Lage für einen Kostenbruchteil der Zürcher Utopie: Frisch erstrahlten Barfi und Marktplatz. Und Auferstehung feierten der Rüdenplatz (bei der alten Post) sowie der heute zerstückelte Fischmarkt. Schnell ginge das überdies, und auch daran hätte Ulrich Weidmann seine helle Freude.

Das Herzstück der Regio S-Bahn mit der unterirdischen Station Marktplatz/Schifflände würde dieses System später komplettieren. Und gegen einen kurzen, langsamen Shopper-Shuttle auf alten Geleisen zwischen Barfi und Schifflände hätte auch niemand etwas einzuwenden.

Kommentare

17 Antworten zu «Freie Plätze für freie Menschen»

  1. Avatar von Max Fischer
    Max Fischer

    Am Besten die Häuser dann gleich auch unter die Erde verlegen. Dies gilt insbesondere für den Einfamilenhauskrebs im Umland. Die Strassen für den motorisierten Verkehr ebenfalls, und endlich haben wir wieder Landschaft pur!
    (Besondere Schmuckstücke der Architektur und Kultur dÜrfen natürlich oben bleiben, so kommen sie dann auch wirklich zur Geltung)

    1. Avatar von Michael Perini
      Michael Perini

      Ha! Einfamilienhauskrebs. Den muss ich mir merken 😀

  2. Avatar von Hans Eichhorn
    Hans Eichhorn

    Der Shoppershuttle am besten kostenlos (quersubventioniert) und so langsam, dass man während der Fahrt zusteigen kann. Das fände ich super.

  3. Avatar von Ralf

    Die Idee ist natürlich super, aber 2,5 Mrd ist schon ein stolzer Preis…

    In Karlsruhe wird genau das derzeit gemacht. Dort gab es ähnliche Fragen/Diskussionen – nur standen die Fussgänger dort vor einer «gelben Wand» 🙂

    -> http://www.diekombiloesung.de/

    1. Avatar von Kaspar Tanner
      Kaspar Tanner

      Ich kann mir nicht vorstellen, dass 2,5 Mrd. ausreichen soll. Niemals… Wer das Planungstalent der öffentlichen Hand in Betracht zieht und die Komplexität des Unterfangens, wird wohl eher auf 5 und mehr Mrd. tippen.
      In einer Zeit, wo aber Mrdn. für alle möglichen Rettungen verbraten werden, scheinen ein paar Mrdn für SBB-Untergrundbahnhöfe und Basler Tunnels kein Problem zu sein. Nach uns die Sintflut.
      Zum Glück sind die Probleme im Gesundheitswesen, die Energieversorgung oder die Unterdeckung des Rentensystems nachhaltig gelöst worden und wir können uns einer tramfreien Stadt widmen…

  4. Avatar von Beat Sommer
    Beat Sommer

    Zugegebenermassen die «Trämler» haben keinen einfachen Job. Wenn dieses aber ein bisschen wenige stur agieren würden und den Fussgängern Platz lassen würden, hätten wir diese Diskussion nicht. Oftmals versperren die Trams wirklich die ganze Stadt, so dass man nicht mal mehr die Seite wechseln kann. Oftmals blockieren Trams auch Kreuzungen, da die Trams losfahren, obwohl sie genau wissen, dass vorne noch ein Tram steht und somit müssen sie auf der Kreuzung stehen bleiben.

  5. Avatar von Tom Schneider
    Tom Schneider

    Das Problem ist die Länge des Umwegs, wenn via Musikakademie über den Petersgraben gefahren werden müsste: Von Kleinbasel zum Barfi würde sich die Fahrzeit im Bereich Schifflände – Barfüsserplatz verdoppeln, in kleinem Rahmen zwar, aber psychologisch eben doch von Bedeutung. Dies würde den ÖV weniger attraktiv machen. Es bräuchte also noch zusätzliche Massnahmen, wie die Tramstrecke durch den Claragraben, ausserdem müsste z.B. der 6er (resp. allgemein eine schnelle direkte Verbindung Kleinbasel – Barfüsserplatz/Theater – Heuwaage) weiterhin über die Innerstadt-Verbindung geführt werden.

    Mehr geholfen wäre, wenn endlich der Fokus auf eine attraktive Stadtraumgestaltung gelegt würde: Der heutige Barfi ist nicht primär wegen dem Tram so hässlich, sondern wegen den Strassen, welche dieses Gebiet an jeder Ecke durchschneiden. Überall Fussgängerstreifen, Taxistandplätze und Strassen, wo man aufpassen muss, wenn sie überquert werden. Würde schon nur die Strasse vor dem Braunen Mutz aufgehoben und das BVB-Tramhäuschen abgebrochen, könnte eine völlig neue Qualität erreicht werden! Zusammen mit einer Reduktion auf 5 oder idealerweise 4 Tramlinien (letzteres aber kaum ohne Attraktivitätsverlust machbar) und einer Neugestaltung der Strassen im Sinne einer auch visuell als solche erkennbaren Fussgängerzone würde die Innerstadt massiv aufgewertet.

    1. Avatar von Henry Berger
      Henry Berger

      Bravo Tom Schneider! Bin ich also nicht der einzig, der findet, dass der Barfi ohne Tramhüsli viel besser aussehen würde. Zum einen würde man dann den gesamten Hügel mit dem Lohnhof und der Leonhardskirche sehen, d.h. man würde diesen Teil der Altstadt endlich entsprechend wahrnehmen, zum anderen würde dies (natürlich zusammen mit einer Verkehrsreduktion) den Platz halt grosszügiger machen, so dass sich hier wirklich etwas entwicken könnte. Die jetzigen paar Tischchen vor der Bodega, dem «Braunen Mutz» etc. wirken halt fast ein bisschen lächerlich.

  6. Avatar von cyclist
    cyclist

    Offfenbar vergessen alle in der Diskussion, dass bei Tieferlegung des ÖV eine neue zusätzliche Fußgängerwelt im Halbdunkeln entsteht, die wenig attraktiv ist. Braucht man sich ja nur in Zürich unter dem HB anschauen mit den Geschäften im Zwischengeschoß zwischen Bahnhofshalle und S-Bahntunnelgleisen. Ist es wirklich wert, Fußgänger, die mit ÖV reisen, in diese furchtbare neue Welt zu verbannen? Wer dann in den Abendstunden von den schönen «befreiten» Plätzen an Barfi oder dem Rüdenplatz die City verlassen will und dann in verlassene und verwinkelte, unübersichtliche Tunnelwelten absteigen muss, überlegt sich später vielleicht, ob er abends überhaupt noch das Drämmli jemals wieder benutzen wird. Ist das die tolle Zukunft einer Stadtgesellschaft, die für die ÖV-Nutzer Angsträume schafft, wo an den heutigen Tramstopps in der Innenstädt bislang eine solziale Kontrolle immer noch gewährleistet ist?

    1. Avatar von Daniel Wiener

      Der Vorschlag für Basel sieht KEINE Verlegung des Trams in den Untergrund vor, sondern nur eine Verlagerung zum Petersgraben.

  7. Avatar von Walter Bossert
    Walter Bossert

    Es wäre doch sinnvoller die Bahnen der Zukunft gleich auf etwa 50m über Boden anzulegen.Denn erstens könnten dann die Freunde des verdichteten Wohnens gleich von dort in ihre Silozelle aufsteigen, 2.würde kein Aushubmaterial anfallen welches dem unfolgsamen Nachbarkanton untergejubelt werden muss.Liebe Basler jetzt ist noch Platz, wie sieht es in 20 Jahren aus??

  8. Avatar von Kurt Seiler
    Kurt Seiler

    Nur ein Bruchteil der Leute die im Tram durchs Zentrum geschleust werden wolle auch dorthin. Egal wohin man will, man fährt erstmals im Schritttempo durchs Zentrum. Die wenigen Linien die das Zentrum umfahren sind unattraktiv zB 1er und 36er. Ich schlage vor, Linien wieder aus dem Zentrum zu entfernen und jede zweite Haltestelle aufzuheben. Es reicht wenn ein Tram alle 100 anstatt 50m einen Stop einlegt. Mein Arbeitsweg ist ca 3 km. Das heisst 20 Haltestellen und ca 35 min Dauer! Zu Fuss wär nicht langsamer, aber ich bin nicht mehr der jüngste. Schneller gehts nicht, S-Bahn Fehlanzeige.

  9. Avatar von Lautsch
    Lautsch

    Beim Artikel mit den Zürcher Trams wurde von mehreren Leuten in den Kommentaren vorgeschlagen, stattdessen die Autos in den Untergrund zu verbannen.

  10. Avatar von Christian Schärer
    Christian Schärer

    Ein neues Gleis am Petersgraben hat sicher ein gutes Preis-/Nutzenverhältnis. Alles unterirdische ist zu teuer und bringt ausser höhere Steuern und Gebühren nicht viel. Vorallen in einer Provinzstadt wie Basel. Die Verteilung der Tramlinien auf mehr Geleise ist sinnvoller. Das braucht natürlich auch eine Anpassung des Liniennetzes. Man baut lieber die Osttangente unterirdisch (und 3-/4-spurig), bringt für die Zukunft mehr!

  11. Avatar von battistini
    battistini

    WIRD AUCH LANGSAM ZEIT, DENN DER PLATZ WIRD RAR UND DAS GELD IST NOCH DA.
    ALL ZU NEU IST DER GEDANKE NICHT, WURDE FÜR BERN SCHON VOR 80 JAHREN VORGESCHLAGEN… WAR SCHON IMMER EINE POLITISCHE FRAGE, SCHON DAMALS.

  12. Avatar von Martin Cesna
    Martin Cesna

    Sightseeing per Tram ist nett, aber es muss auch schneller durch die Stadt gehen, wenn man eben nur durch muss. Zuerst, da am meisten aufällig, müssten wohl doppelstöckige Brücken her. Dann sind Knoten fällig, die 5 Min. auseinander liegen müssen. Die Geschwindigkeit bestimmt dann die Distanz zwischen den Knoten. Wegen der Hügeligkeit der Stadt wird wohl eine Trasse gemischt oberhalb der Köpfe (S-Bahn) wie unterhalb der Füsse (U-Bahn) der Passanten fällig. Die Stränge könnten auch quer durch Häuser gehen, so müssten sie sich nicht an die Strassen halten.
    Zukunftsmusik? Museen haben manchmal so eine blöde Eigenschaft, auszusterben. Am Schluss ist eine Stadt ein Gebrauchsgegenstatt zwecks Wohnen, Leben und Geschäften. Dieser Lebensraum muss stets wieder angepasst werden, damit er lebbar bleibt und nicht verslumt. Das war schon früher so, als man die Kloaken beseitigte und die Knochenbrecherwege einebnete. Wohl schon wegen dem Tram mussten damals einige Häuser abgerissen werden.
    Auch die Flussufer bieten sich als Schnellwege an.
    Ziele könnten sein: 12 Min zwischen den Bahnhöfen, 10 Min. bis an den Rhein.
    Die Umland Drämmlis dürften durchaus S-Bahn-Charakter mit Geschwindigkeiten um 60 km/h bekommen.

  13. Avatar von Markus
    Markus

    Das Basler Volk ist einfach zu verwöhnt. Warum gibt es denn diese «Tram Staus»? Weil alle immer schneller von A nach B wollen. Somit werden von der BVB und BLT auch immer mehr Kurse eingesetzt. Am Marktplatz kommt im Durchschnitt jede minute eine Tram. Da kommt es doch zu verängungen. Ich bin selber Chaffeuer und kann nur den Kopf schütteln wenn Passagiere leider mal 2 minuten warten müssen, aber dann sofort Agressiv werden. In Basel gilt zur Zeit wohl das Motto: «Zeit ist Geld und Geld habe ich nicht» Man sollte sich diesbezüglich einmal Gedanken machen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert