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Kulturwandel für Nachhaltigkeit

Autor: Daniel Wiener

  • Erschreckendes Echo – was tun?

    Zürichs Stadtpräsidentin Corine Mauch verkündete vorletzten Samstag in der Live-Unterhaltungssendung «SF bi de Lüt», was sie gerne als Beweis für die Weltoffenheit der Limmatstadt anführt: «In Zürich leben 60% Menschen mit Migrationshintergrund.» Wie kommt das an?

    Neben der Integration traditioneller Einwanderer und – neuerdings – von so genannten «Expats», kommt heute die dritte Säule der Integrationspolitik zu kurz: die Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit. …

    Die Zusammensetzung der Basler Bevölkerung ist ähnlich wie jene von Zürich: Ein Drittel Ausländer, ein Drittel Schweizer mit Migrationshintergrund und ein Drittel Schweizer mit Schweizer Vorfahren. Dass der Anteil der ausländischen Bevölkerung in Basel-Stadt soeben die Marke von einem Drittel erreicht hat, bildete den Hintergrund meiner Kolumne von letzter Woche. Auf dem Blog www.unserekleinestadt.ch löste diese Tatsache neben sachlichen Reaktionen auch erschreckende Tiraden gegen Einwanderer aus.

    «Franz Müller» beispielsweise, erinnert sich zuerst an «früher»: «Bunt gemischt hatte es Italiener, etwas Spanier und Jugos, das war’s dann auch schon. Die fielen weder auf noch ab, fast alles ruhige Bürger, die alle brav schafften. Heute? Du meine Güte, so viel Littering allenthalben, farbige Männer, die auch tagsüber herumlungern, was machen die bloss, von was leben die denn?» Selbst wenn sich hinter dem Namen «Franz Müller» ein anonym schreibender Provokateur verbergen sollte: Es ist unbestreitbar, dass so geredet wird.

    Ein «Alfred Brand» bringt subjektiv wahrgenommene, negative Entwicklungen in Verbindung mit Ausländern. Die Beweise für die suggerierten Zusammenhänge bleibt er schuldig: «Wenn ich früher am Wochenende um 02.00 Uhr den Bierkeller verlassen habe, konnte ich zu Fuss völlig unbehelligt nach Kleinhüningen gehen. Überfälle? Die gab es damals nicht (oder nur ganz selten), so einfach ist das! Der einzige «Hotspot» war schon damals der Schützenmattpark.»

    …Dazu gehört, die Frustrationen und Ängste der Ausländerfeinde ernst zu nehmen. (Bilder: Plakate der Antirassismuskampagne von gra.ch)

    «Matthias Bosshard» fühlt sich als Basler isoliert: «Es reden immer alle von Integration, in Wirklichkeit sollen wir uns mittlerweile anpassen.» Manche andere Blog-Beiträge konnten aus Anstand nicht einmal freigeschaltet werden.

    Was tun? Verschweigen ist bestimmt die falsche Strategie. Es reicht auch nicht, wie Corine Mauch den Spiess umzudrehen und die Dominanz der Menschen mit Migrationshintergrund als Qualitätssiegel oder Erfolgsfaktor anzupreisen.

    In aller Munde ist die Integration traditioneller Einwanderer und – neuerdings – von so genannten «Expats». Die dritte Säule der Integrationspolitik kommt hingegen zu kurz: Die Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit. Dazu gehört, die Frustrationen und Ängste der Ausländerfeinde ernst zu nehmen. Als wirksamstes Mittel gegen Xenophobie identifizierte der Genfer Migrationsforscher Prof. Sandro Cattacin die persönliche Begegnung zwischen Bevölkerungsgruppen aus unterschiedlichen Nationen. Finden diese die nötige Unterstützung?

  • Massenbewegung mit Umzugswagen

    Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg erreicht Basel-Stadt, laut soeben veröffentlichten, neuste Zahlen, einen Ausländeranteil von über einem Drittel, genau 33,8%. Dieser Wert stieg seit Jahren kontinuierlich an. Denn es zogen mehr Ausländer zu als weg und mehr Schweizer weg als zu. Ausserdem sterben viel mehr Eingeborene, weil sie im Durchschnitt deutlich älter sind. Manche von ihnen kamen als Ausländer nach Basel und sterben als Schweizer.

    45 000 Menschen zügeln jährlich innerhalb Basel-Stadt oder über die Kantonsgrenze. Während Jahren zogen mehr Ausländer zu als weg und mehr Schweizer weg als zu. Deshalb ist jetzt jeder dritte Basler Ausländer. Ein Meilenstein, der zu denken gibt. (Bild: Matthias Willi)

    In einer wichtigen Altersgruppe stellen die Ausländerinnen und Ausländer in Basel-Stadt gar die Mehrheit, und zwar bei den 30- bis 40-jährigen. In dieser Lebensphase bekommen viele Paare das erste und das zweite Kind. Dennoch leben in Basel-Stadt deutlich mehr Schweizer Kinder als Ausländerkinder.

    Offenbar sind viele Ausländer in erster Linie zum Arbeiten hier. Oder sie ziehen weg, sobald sie eine Familie gründen. Diese Annahmen werden durch eine weitere Zahl erhärtet: Ab Alter 50 schrumpft der Ausländeranteil drastisch. Es liegt nahe, dass hier Einbürgerungen und Abwanderung eine wichtige Rolle spielen.

    Basel dient offenbar nach wie vor als Motor für sozialen Aufstieg. Einmal etabliert, bewerben sich viele Ausländerinnen und Ausländer um den Schweizer Pass. Doch es gibt auch eine harte Selektion: Wer nicht reüssiert, zieht rasch weiter. Davon leben die Umzugsfirmen nicht übel. In den letzten zwölf Monaten beispielswiese, verliessen laut Statistischem Amt rund 13 000 Menschen den Kanton. 14 000 zogen in der gleichen Periode zu. Das ist schon fast eine Massenbewegung. Dazu kommen noch gegen 18 000, die innerhalb des Kantons zügelten. Zusammen sind das 45 000, die eine neue Wohnung suchten, fanden und bezogen. Dies entspricht beinahe der ganzen Kleinbasler Bevölkerung – in einem einzigen Jahr!

    Bei Domizilwechseln innerhalb des Kantons waren zwar überproportional viele Ausländer beteiligt, aber die Mehrzahl waren Schweizer. Beim Wegzug über die Kantonsgrenze hinweg, ist die Zahl der Ausländer deutlich höher als jene der Schweizer, obwohl die Ausländer nur einen Drittel der hiesigen Bevölkerung ausmachen. Das heisst: Ausländer ziehen nicht nur fleissig nach Basel, sondern im Vergleich zu den Schweizern etwa drei Mal so häufig wieder weg.

    Die nackte Zahl – wir haben jetzt ein Drittel Ausländer – sagt also wenig aus. Es gibt Ausländer, die rasch wieder das Weite suchen und andere, die bleiben. Viele sind hier schon lange etabliert. Ihr Blickwinkel ist wertvoll: Weil sie sich aktiv um Basel bemüht haben, kennen sie den Kanton von einer anderen Seite als Alteingesessene. Diese Ausländer sollten wir ermutigen, Schweizer zu werden. Zum Beispiel, indem sie Gelegenheit bekommen, bereits fünf Jahre vor dem regulären Einbürgerungsdatum mindestens kantonal das Stimm- und Wahlrecht auszuüben.

  • Einfach leben

    Der Sommer ist die Zeit des leichten Seins. Vieles, das wir haben, ist aus dem Auge, aus dem Sinn: Mäntel, Handschuhe, Skis, Schneeschaufeln, Heizungen, Konserven, Glühwein – Ballast. Aber nötig sind die warmen Sachen und deshalb sorgfältig verstaut. Denn – ob wir’s wahr haben wollen, oder nicht – der Winter kommt wieder. Ein gutes Leben sorgt vor. Sonst beschleicht uns die Angst vor der Zukunft.

    Wenn Geist über Geld steht, sind die Voraussetzungen gut, dass wir Ideen, Initiativen und Lebensformen entwickeln, die zukunftsfähig sind. Basel hat die ideale Grösse, um das Leben zu vereinfachen. (Bild: Keystone)

    Ob Sommers oder Winters, wir brauchen Dinge. Und da alle Menschen aus dem gleichen Holz geschnitzt sind, ist ihr materieller Bedarf auch ähnlich, könnte man meinen. Stimmt so nicht: Es gibt beispielsweise Leute mit zwei grossen Autos und solche ohne. Manche haben das Gefühl, sie müssten jährlich einmal das Meer sehen – andere kommen nicht ohne Berge aus. Er trägt immer blau, aber nie orange – sie hält es umgekehrt. Es gibt Abba-Aficionados und Beethoven-Bewunderer, und aus diesem Grund DRS1, DRS2 und viele weitere Sender mehr. Wir leben in einer Gesellschaft mit vielfältigen Bedürfnissen und Wahlmöglichkeiten.

    Was nach einer banalen Aufzählung tönt, trifft den Kern der Debatte, die wir gerade am Weltrettungsgipfel Rio+20 erlebt haben. Die armen Länder sagten: «Unsere Bevölkerung hat viele Bedürfnisse und wenige Wahlmöglichkeiten. Wir wollen die Ausweitung unserer Optionen nicht bremsen, nur weil es der Umwelt schlecht geht. Zuerst sollen die reichen Länder ihre Wahlfreiheit einschränken, dann folgen wir ihnen.» Das lehnen die Politiker der reichen Länder ab, da sie sonst abgewählt würden. Als Alternative bieten sie die «grüne Wirtschaft» an: In einer effizienten Güterproduktion sowie in einem sparsamen Ressourcenverbrauch sehen sie den Ausweg.

    Wohin geht die Reise? Erstens müssen wir anerkennen, dass es unterschiedliche Bedürfnisse gibt. Nicht alle brauchen gleich viel. Aber generell ist es wohl weise, sich auf weniger einzustellen, vor allem auf einen tieferen Material- und Energieverbrauch. Worauf sollen wir verzichten? Die Kunst besteht darin, mehr immaterielle Wahlmöglichkeiten zu schaffen und diesen den gleichen Wert beizumessen wie dem Dinglichen.

    Hier liegt Basels Zukunft. Unsere Stadt hat alle Möglichkeiten und das intellektuelle Potenzial zum Lebensgenuss mit weniger Geld und Material. Das pietistisch-protestantische Erbe Basels begünstigt das Sparen. Unsere humanistische Tradition inspiriert uns zum sozialen Ausgleich, aber auch zur Freude an der Debatte, an Kunst und Wissenschaft. Konsum und materieller Besitz stehen als Statussymbole seltener als anderswo im Vordergrund.

    Wenn Geist über Geld steht, sind die Voraussetzungen gut, dass wir Ideen, Initiativen und Lebensformen entwickeln, die zukunftsfähig sind und den gordischen Knoten von Rio+20 durchtrennen helfen. Basel ist eine Stadt der kurzen Wege. Abwechslung ist leicht, auch dank der Grenznähe. Das Kulturleben und die Bibliotheken, der öffentliche Verkehr und die Spielplätze sind von hoher Qualität. Wo denn, als hier, lässt’s sich einfacher leben?

  • Mehr als wohnen

    Im September will der Basler Regierungsrat dem Parlament das neue Wohnraumförderungsgesetz vorlegen. Es ist der erste Anlauf der Politik seit 1999, die Bevölkerungsentwicklung über Wohnungsbau zu steuern. Damals peilte das Aktionsprogramm der Werkstadt Basel die Realisierung von «5000 neuen Wohnungen in zehn Jahren» an. Während die Bevölkerungszahl im Stadtkanton zuvor während eines viertel Jahrhunderts gesunken war, begann sie bald darauf wieder zu steigen.

    Im begrenzten Raum von Basel-Stadt ist die Stabilisierung oder gar ein Wachstum der Einwohnerzahl eine Frage der Dichte: Menschen müssen Vorteile darin sehen, in kleineren Wohnungen zu leben. Die Lösung liegt im Quartier. (Bild: Pino Covino)

    Vieles deutet darauf hin, dass sich die Bewegung «Zurück in die Stadt!» in Zukunft noch weiter verstärken wird. Der Leerwohnungsbestand Basels nimmt ab und touchiert schon den Grenzwert zur Wohnungsnot. Folgerichtig legt die Wohnraumstrategie des Basler Regierungsrates, auf die sich das anstehende Wohnraumförderungsgesetz stützt, den Schwerpunkt auf die Bereitstellung von Wohnungen. Überdies setzt sie auf sogenannte «Subjekthilfe» für Menschen, die sich die marktgängigen Mieten nicht leisten können.

    Doch die Wohnungsfrage stellt sich heute weit komplexer dar: Die ökologisch, sozial und wirtschaftlich erwünschte Verdichtung der Besiedlung ist nur möglich, wenn die Wohnraumförderung das Wohnumfeld mit berücksichtigt und beeinflusst.

    Ausschlaggebend für die Wohnortwahl in der Stadt waren früher die Zentralität und ein ruhiges Schlafzimmer. Heute sind die Ansprüche differenzierter, je nach Lebenslage: Gibt es in der Nähe eine gute Kinderkrippe? Kann man in diesem Quartier vielfältig einkaufen? Hat es coole Restaurants? Sind die Verkehrswege sicher, speziell für velofahrende Kinder auf dem Schulweg? Wie gut durchmischt sind die Schulklassen im Stadtteil? Gibt es Quartierstrukturen, welche Gemeinschaft begünstigen, zum Beispiel eine Badi, Kultureinrichtungen, Bibliotheken, Parks und Strände mit Grillstellen, Spielplätze, öffentliche Gärten, einen Polizeiposten, eine Post? Hat es Mobility-Standorte fürs Autoteilen, Fahrradabstellplätze, Spitex, Spital und Altersheime? Kann ich in der Nähe meiner Familie und Freunde wohnen?

    Wie diese Beispiele zeigen, ist die Gleichung der dichten Stadt so komplex, dass sie sich nur als Querschnittsaufgabe aller Departemente und in Zusammenarbeit mit Investoren lösen lässt.

    Im begrenzten Territorium von Basel-Stadt ist die Stabilisierung oder gar ein Wachstum der Einwohnerzahl eine Frage der Dichte: Menschen müssen Vorteile darin sehen, in kleineren Wohnungen zu leben. Voraussetzung dafür sind gute öffentliche und private Einrichtungen, dank denen sich Gross und Klein auch ausserhalb der eigenen vier Wände zu Hause fühlt. Ein Wohnraumförderungsgesetz kann daher seine Ziele nur erreichen, wenn es private Investoren und Genossenschaften belohnt, die das Quartierleben und ökologisches Verhalten fördern. Etwa indem sie in ihrer (bestehenden oder neuen) Siedlung auch den Raum und die Einrichtungen dafür schaffen.

  • Das Traumpaar Basel & Biel

    Alle reden von der Krise. Wie die Südeuropäische Jugend wirtschaftlich ausgehungert und ihrer Zukunft beraubt wird, hat Dimensionen angenommen, die mit der Menschenwürde nicht mehr vereinbar sind. Die Schweiz schwimmt oben auf, als eine Insel der Seligen.

    Das Vermögen der Volkswirtschaften in der Region Basel-Biel nimmt trotz Krise deutlich und überdurchschnittlich zu. Hier konzentrieren sich Reichtum und Macht nicht nur während der «Basel World». Dass kaum jemand Notiz davon nimmt, hat einen guten Grund. (Bild: Keystone)

    Und auf dieser Insel gibt es einen Garten, dessen Blumen einen geradezu paradiesischen Duft verströmen: Die Region Basel-Biel. Das ist die Heimat der einzigen beiden Schweizer Branchen, die heute höhere Exporte aufweisen als vor Beginn der Krise: Chemie/Pharma bestreitet gegenwärtig rund 37 Prozent, Uhren/Präzisionsinstrumente etwa 18 Prozent der Ausfuhren. Die prosperierende Wirtschaft der Region ist verantwortlich dafür, dass unser Land seit zehn Jahren einen Handelsbilanz-Überschuss aufweist, nachdem zuvor ein Jahrhundert lang Handelsbilanz-Defizite resultierten.

    Mit anderen Worten: Das Vermögen der Volkswirtschaften in unserer Ecke der Schweiz nimmt weiterhin deutlich und überdurchschnittlich zu. Reichtum und Macht verlagern sich zunehmend hierher. Der einzige Grund, weshalb dies nicht deutlicher spürbar ist, ist die fehlende Kooperation zwischen den beiden Polen Basel und Biel. Auf der direkten Eisenbahn-Verbindung gibt es nicht einmal eine durchgehende Doppelspur, dafür eine Spitzkehre in Delémont. Mit dem Auto ist der Weg noch mühsamer. In Kultur, Politik und Wirtschaft ist das Bewusstsein des gemeinsamen Schicksals wenig ausgeprägt.

    Wenn es in der Schweiz ein Erfolgsmodell für Standortförderung durch Kooperation gibt, dann ist es der «Arc Lémanique» (auf Deutsch: Der Genferseebogen). Noch vor 15 Jahren waren sich die Regionen Genf und Lausanne so fremd wie Basel und Biel – und dazu noch spinnefeind. Es brauchte die Initiative von klugen Politikerinnen, Managern und der Hochschulen, um diesen Bann zu brechen. Und ein Denken in Zusammenhängen: Jede Stadt für sich allein hatte kein Brot in Bern, hatte einen zu kleinen Arbeitsmarkt, um international zu bestehen, konnte keine Bildungsinstitutionen finanzieren, die für Spitzenkräfte attraktiv waren. Zusammen erreichten Genf und Lausanne die kritische Masse, welche die Voraussetzung bildeten, um solche Barrieren zu überwinden.

    Ebenso sind Basel und Biel natürliche Verbündete. Und sie haben gemeinsame Interessen. Obwohl doppelt so weit entfernt, übt Basel auf Biel wirtschaftlich und kulturell eine deutlich grössere Anziehungskraft aus als Bern. Auf einen gemeinsamen Nenner bringt dies die jährliche Uhren- und Schmuckmesse Basel World. Basel hat starke Logistikangebote sowie gute Verkehrsverbindungen zu bieten – ausser nach Biel. Neben einer schnellen, direkten Bahnlinie könnten gemeinsame Institutionen, zum Beispiel in der Bildung oder im Gesundheitswesen, die Kooperation befeuern. Der Jura kann ja auch verbinden, anstatt wie heute zu trennen.

  • Lasst euch provozieren!

    Kunstmuseums-Direktor Bernhard Mendes Bürgi zeigt ab 17. März 2013 die spannendsten Werke Pablo Picassos aus öffentlichem oder privatem Besitz der Region Basel. Co-Kuratorin Nina Zimmer verspricht – aufgrund ihrer «aufwendigen Recherchen» – eine Darstellung aller Werkphasen des Spanischen Meisters «auf höchstem Niveau».

    Grosse Geschichte lastet schwer. Versperrt der ständige Rückblick Basel die Zukunft? Oder kommt es zur breiten Debatte über die Rolle von Kunst und Kultur in der globalen Krise? Es gibt zaghafte Anzeichen, dass in Basel wieder Innovation entsteht. (Bild: Ernst Beyeler und Pablo Picasso, Mougins, 1969, Fotograf unbekannt © Beyeler Museum AG)

    Das ist schön und gut und sogar originell. Denn erstmals bekommt das landläufige Publikum Einblick in eine repräsentative Auswahl der Sammel-Leidenschaft wohlhabender Mitbürgerinnen und Mitbürger. Gerade dank der Beschränkung auf einen Künstler, erfahren wir mehr über die Geschmäcker und Seelenlagen jener Zeitgenossen, die sich Picassos leisten können.

    Als zweiten Programmpunkt dieser Sonderschau kündigt das Kunstmuseum eine Dokumentation über das «legendäre Picasso-Jahr 1967» an. Diese Geschichte ist nun wirklich zum Gähnen. Jedes Kind weiss, dass Basel-Stadt damals per Abstimmung zwei Picasso-Bilder gekauft hat. Ein Staatskredit von 6 Millionen und private Spenden von 2,4 Millionen Franken erlaubten es dem Kunstmuseum, die Leihgaben «Les deux frères» und «Arlequin assis» zu erwerben. Der Sammler Rudolf Staechelin brauchte das Geld.

    Bis zum Abwinken zelebriert und nacherzählt worden ist die Ergriffenheit Picassos, der angesichts des volkstümlichen Verdikts der Stadt weitere Werke schenkte. Es ist zu befürchten, dass wir auch diese Episode wieder des Langen und des Breiten werden über uns ergehen lassen müssen. Was damals eine Sensation war, ist heute nur noch Nostalgie. Ausser es gelingt dem Kunstmuseum hinter diese Legende zu leuchten und neue, bisher unbekannte Fakten zu Tage zu fördern. Wir sind gespannt.

    Der damalige Aufbruch führte 1970 zur Gründung der Art Basel. Seither und bis vor einem Jahrzehnt prägte Basel die Entwicklung der Kunstwelt mit. Das Museum für Gegenwartskunst im St. Alban Tal beispielsweise war 1980 der erste Europäische Ausstellungsbau, der sich ausschliesslich zeitgenössischer Kunst widmete. Als weiterer Meilenstein wäre das etwas verschwiegene, aber weitherum respektierte Schaulager in Münchenstein zu erwähnen. Es wurde 2003 eröffnet.

    Grosse Geschichte lastet schwer. Versperrt der ständige Rückblick Basel die Zukunft? In den Galerien regt sich neues Leben. Das Kunstmuseum erhält einen Anbau. Wird es ein Museum der Vergangenheit oder der Gegenwart? Kommt es zur breiten Debatte über die Rolle von Kunst und Kultur in der globalen Krise? Es gibt zaghafte Anzeichen dafür, dass die Diskussion ausgetretene Pfade verlässt und gerade hier und heute wieder Innovation entsteht. Bis zum 17. März 2013 hat die Basler Kunstwelt Zeit, einen Kontrapunkt zu Mendes Bürgis Picasso-Nostalgie vorzubereiten. Lasst euch von ihm provozieren!

  • Masse und Moral

    Anfangs der 80-er Jahren war Basel eine Schmutzstadt: Ein Schwumm im Rhein bescherte Ausschläge, ein Schluck daraus Durchfall. Die Luft war geschwängert von Abgasen aus Autos, Heizungen und Chemie. Einziger Trost: «Littering» gab es damals weder als Tätigkeit noch als Begriff.

    Von einer velogerechten Stadt ist Basel noch weit entfernt. Auf der anderen Seite begrün-det Velofahren auch keine Vorrechte mehr. Die höhere Moral der Pedaleure ist jetzt an ihr rücksichtsvolles Verhalten gebunden.

    Wenn füllige Regierungsräte morgens ins Büro strampelten, anstatt das Auto zu nehmen, war das noch eine Schlagzeile samt Zeitungsfoto wert. Das Rad erlaubte es auch älteren Semestern Eigenschaften wie Jugendlichkeit, Sportsgeist und Individualismus zur Schau zu tragen. Der Velofahrer war ein sauberer, ja, mutiger Musterbürger. An der Umweltmisere trug er keinerlei Schuld. Und er war frei.

    Frei beispielsweise, die Verkehrsregeln zu missachten. Denn die moralische Überlegenheit des Velos war im Vor-Katalysator Zeitalter so offensichtlich, dass ihm andere Verkehrsteilnehmer, insbesondere motorisierte, schuldbewusst den Vortritt liessen.

    Aus dieser Periode stammt die Mentalität, die eine Minderheit der Radler noch heute beseelt: Ein Fahrrad darf alles. Links und rechts überholen, irgendwo rasch abbiegen, bei Rot über die Kreuzung, auf dem Trottoir und auf Spazierwegen rasen. Wem fiel das schon gross auf, bevor das Velofahren als «Biken» so richtig in Mode kam?

    Meine Kolumne von letzter Woche über die Velo-Parkplatznot löste eine Flut von Tiraden über frech flitzende Zweiräder aus. Ein Muster: «Vielmehr würde mich freuen, wenn Sie über die Verwilderung auf Basels Strassen durch die Velofahrer schreiben würden.» Bitte sehr: Wenn eine Pioniertat zum Massenphänomen mutiert, sind neue Normen nötig. So gelten seit es Stau gibt am Mount Everest andere Regeln als bei der einsamen Erstbesteigung durch Edmund Hillary und Sherpa Tensing Norgay 1953.

    Neue Regeln sind nicht gleich bedeutend mit neuen Vorschriften. Die bestehenden Paragraphen genügen durchaus. Will das Fahrrad jedoch seine Vormachtstellung als bevorzugtes Stadtvehikel beibehalten oder gar ausbauen, müssen sich dessen Lenker neu orientieren. Ich plädiere nicht für sklavisches Befolgen des Strassenverkehrsgesetzes. Nachts um zwei Uhr stört es kaum, wenn ein Pedaleur angesäuselt und in die falsche Richtung die Freie Strasse hinauf hechelt. Aber nachmittags um zwei sehr wohl, wenn einer im Karacho hinunter blocht.

    Niemand war auf diesen Fahrrad-Boom vorbereitet. Aber jetzt, wo er erfreulicherweise da ist, müssen sich alle Beteiligten neu orientieren. Das gilt zunächst für die Basler Infrastruktur-Entwickler: Von einer velogerechten Stadt sind wir noch weit entfernt. Auf der anderen Seite begründet Velofahren auch keine Vorrechte mehr. Die höhere Moral der Radler ist jetzt an ihr Verhalten gebunden. Rücksicht ist ein kleines Opfer, das die Reisegeschwindigkeit kaum einschränkt und noch weniger den Genuss.

  • Basels wahres Parkplatzproblem

    Der Basler Bau- und Verkehrsdirektor Hans-Peter Wessels tut viel fürs Velo. Sein neuster Streich ist die soeben bekannt gegebene Ausdehnung der Tempo 30-Zonen. Diese befördern die Sicherheit und begünstigen den sogenannten Langsamverkehr, also Fahrräder und Fussgängerinnen. Wobei das Wort Langsamverkehr trügt. Die Zweiräder sind nicht nur in Basel, aber speziell in Basel, die schnellsten Fortbewegungsmittel.

    In Zukunft werden Veloparkplätze noch knapper. Und das Problem betrifft nicht nur die Fahrradfahrenden selbst, sondern auch alle anderen Verkehrsteilnehmer. Ihnen stehen parkierte Velos schlicht im Weg.

    Dabei denke ich nicht an die wachsende Anzahl «Töffs» aller Art (vom Mofa bis zur Bolide), sondern an die ganz normalen Velos: Sie sind günstig in der Anschaffung und gratis bei Steuern und Versicherung. Schnell sind sie vor allem deshalb unterwegs, weil sie zuhause rasch hervorgeholt und am Zielort rasch geparkt sind. Und weil Basel flach ist – mit Ausnahme des Bruderholzes.

    Das schnelle Parken macht nicht nur den Zauber des Velofahrens aus – es ist zum Problem geworden. Wir sehen besonders bei schönem Wetter vor lauter Velos die Stadt nicht mehr. Sie sind im Weg und die legalen Parkfelder quellen über: Gestern Mittag beispielswiese, waren am Barfüsserplatz gleich viele Velos in Parkfeldern abgestellt wie nebendran. Diese aus der Not geborenen Sitten greifen auch auf Vespas und schwere Motorräder über, denn das Vergehen wird kaum gebüsst.

    Es wäre auch sinnlos, Bussen zu schreiben. Während halb Basel über den Mangel an Autoeinstellhallen klagt, betrifft das wahre Parkplatzproblem die Velofahrer. Das Elisabethen- und das Steinenparking beispielsweise, sind nur wenige Stunden im Jahr, während der vorweihnachtlichen Abend- und Sonntagsverkäufe, voll belegt. Die Parkplatznot der Fahrräder ist hingegen notorisch, vor allem im Sommer.

    Zaghafte Projekte, diesem Mangel abzuhelfen, gibt es im Umkreis der Bahnhöfe. In den Zentren der Quartiere und speziell in der Innenstadt dauert das Malaise an. Glücklicherweise will der Kanton das Velowegnetz weiter verdichten. Die Verkehrspolitik möchte zudem Pendlerinnen und Pendler, die etwa aus Lörrach, Oberwil oder Pratteln in die Stadt fahren, mit Hilfe von «Veloautobahnen» zum Pedalen animieren. Denn die eigene Muskelkraft bewegt uns nicht nur gesünder, sondern auch umweltfreundlicher als Tram und Bus, ganz zu schweigen vom Auto.

    Das bedeutet: In Zukunft werden Veloparkplätze noch knapper. Und das Problem betrifft nicht nur die Fahrradfahrenden selbst, sondern auch alle anderen Verkehrsteilnehmer. Ihnen stehen parkierte Velos schlicht im Weg. Noch dringender als ein neues Autoparking beim Kunstmuseum braucht Basel zusätzliche Parkiermöglichkeiten für Velos – sei es mit doppelt so vielen Feldern an geeigneter Stelle oder durch den Bau attraktiver Veloparkings, auch in der Innenstadt. Nur so bleibt der Langsamverkehr auch in Zukunft Basels Schnellverkehr.

  • Schulden kommt von selber schuld

    Eva Herzog warnt. Die Basler Finanzdirektorin, die in allen Parteien hohes Ansehen geniesst, rechnete kürzlich vor, wie es um die Zukunft der kantonalen Investitionen steht. Zu «Online-Reports» sagte sie: «Wir sehen (…) eine starke Steigerung der Nettoinvestitionen auf circa 500 Millionen Franken im Jahr 2015. Ab 2016 werden sie sich bei rund 400 Millionen einpendeln – und dies ohne Spitäler.»

    Nach der geplanten Senkung der Unternehmenssteuern fehlt Basel das Geld für dringendste Investitionen, zum Beispiel die Sanierung oder den Neubau des Klinikums II (Bild: Keystone). Das widerspricht den Interessen von Bevölkerung und Wirtschaft.

    Die anstehenden Investitionen sind allesamt sinnvoll und unbestritten: Die Sanierung der Volksschulen, der Ausbau der Universität und die Weiterentwicklung der öffentlichen Verkehrsmittel sichern die Lebensqualität der Bevölkerung und die Standortattraktivität für die Wirtschaft. Die 400 Millionen Franken pro Jahr reichen aber nur für das Allerdringendste. Schon dafür müsse sich der Kanton neu verschulden, sagte Herzog weiter.

    Somit handelt es sich beim heutigen Finanzplan – wenn auch unausgesprochen – um ein Notprogramm. Wie Eva Herzog erwähnt, sind etwa die Spitäler nicht berücksichtigt. Mit anderen Worten: Ein anstehender Neubau oder eine gründliche Renovation des Klinikums II bleibt ohne noch höhere Schulden ausser Reichweite.

    Ebenfalls fehlt das Geld für den Neubau des Hafenbeckens 3 und des Terminals Nord, zwei zentrale Projekte der Wirtschaft. Ohne diese Investition bleibt die Idee eines neuen Quartiers auf der Rheininsel und rund um das Dreiländereck ein schöner Traum. Die unterirdische Verlegung der Osttangente, die Vorfinanzierung des Wiesenberg-Tunnels, die Deckelung der Elsässer Bahn und der «Central Park» oder ein modernes Naturmuseum – alles Pläne zum Vergessen.

    Die wachsende Bevölkerung braucht neue Wohngebiete, wenn Mietzinse nicht ins Unendliche steigen sollen. Die prosperierende Wirtschaft ist auf Logistik-Plattformen angewiesen. Jeder Franken dieser Investitionen löst beim Gewerbe ein Mehrfaches an Umsätzen aus. Mit der beantragten Steuersenkung fehlten Jahr für Jahr 48 Millionen Franken, um solche Vorhaben zu bezahlen. So würden (in Kombination mit der an sich sinnvollen Schuldenbremse) lebenswichtige Investitionen abgewürgt.

    Ein Gemeinwesen, das sich mit eingeschnürtem Brustkorb bewegen muss, droht zu ersticken. Natürlich schauen Firmen auch auf den Preis (also die Steuern), aber ebenso auf die Leistung (also die Infrastruktur). Das Preis-Leistungs-Verhältnis für die Wirtschaft stimmt nicht mehr, wenn Basel nicht mehr investieren kann. Attraktive Kulturangebote, gute Schulen und zuverlässige Verkehrsverbindungen dienen unserer wirtschaftlichen Zukunft besser als ein paar Prozente Steuerersparnisse. Langfristig werden uns auch Eva Herzog und mit ihr die ganze Wirtschaft dankbar sein, wenn wir die Investitionsblockade ablehnen.

  • Weshalb guter Journalismus links ist

    Markus Somm pflegt das Klischee von den linken Journalisten. Er tut dies nicht ganz zu Unrecht, wie ich gleich erläutern werde. Doch seine Begründung verfängt nicht. In einem ausführlichen Artikel dieses Blattes (BaZ vom 25. April 2012) zeichnete der Chefredaktor ein Zerrbild seiner Zunft. Er beschrieb sie als eine Schar Dilettanten in allen Fachgebieten und verbissene Volksverführer.

    Guter Journalismus orientiert sich an traditionell linken Werten: Demokratie, Meinungsfreiheit, Transparenz und Schutz der Minderheiten. Damit sorgt die Publizistik für ausgleichende Gerechtigkeit in der öffentlichen Meinungsbildung. (Bild: Keystone)

    Seine These exemplifizierte der Guisan- und Blocher-Biograph an der historischen Figur Friedrich Locher. Dieser «Doktor der Rechte» und «glänzende Autor» habe im 19. Jahrhundert durch giftige und klassenkämpferische Polemiken den Niedergang des Zürcher Industriellen und Tatmenschen Alfred Escher eingeleitet. Fazit von Somms Ausführungen: «Keine Berufsgruppe neigt noch heute in so überwiegendem Masse der Linken zu (…) Liberal sind die Journalisten bloss im Ausnahmefall.»

    Natürlich ist ein solches Urteil auch vom Standpunkt des Kommentators geprägt: Wer rechts steht, sieht automatisch die Mehrheit links. Doch ist in der Publizistik – und das mag manche überraschen – die linke Perspektive in erster Linie ein Qualitätsmerkmal.

    Den Entrechteten leiht die Publizistin ihre Stimme. Dies entspricht dem journalistischen Ethos. «Die da oben» haben eigene Megaphone. So sah das letzte Woche auf dem Kultursender DRS2 auch Heribert Prantl, Inland- und Ausbildungschef der liberalen «Süddeutschen Zeitung». Guter Journalismus, bestätigte er, orientiere sich an traditionell linken Leitideen: Demokratie, Meinungsfreiheit, Transparenz und Schutz der Minderheiten.

    Ist das ein Unglück? Wahrscheinlich nicht. Medienleute sollten unabhängig sein von den Mächtigen in Wirtschaft und Staat. Das versetzt sie in die Lage, unangenehme Fragen zu stellen, Missstände zu enthüllen, Zusammenhänge aufzuzeigen, Fakten einzuordnen und zu gewichten, und zwar ausschliesslich im Dienst der Öffentlichkeit. Der «Blick von unten» ist ihre Berufung und Profession. Deshalb sind die Medien auch als «vierte Gewalt» gefürchtet – und geschätzt.

    Während sich an Kapital und Einkommensmaximierung orientierte Studienabgänger eher für eine Manager-Karriere entscheiden, gehen Idealisten, die die Welt verändern wollen, in den Journalismus. Dieser ist – nahe an der Schriftstellerei – oft brotlos und riskant. Mancher Medienmensch ist allerdings in seiner Laufbahn auf den Geschmack gekommen und hat sich ausserhalb des Journalismus hochgedient, ist beispielsweise Mediensprecher eines Konzerns geworden. Und aus dieser Warte sieht die Welt dann oft ganz anders aus.