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Kulturwandel für Nachhaltigkeit

Autor: Daniel Wiener

  • Basel droht Wohnungsnot

    Es ist Zeit, dass sich der Basler Wahlkampf auf wirklich wichtige Themen besinnt. Letzte Woche war an dieser Stelle von der neuen Einwanderung die Rede. Und von den Chancen, die aus der wachsenden Anziehungskraft unserer Stadt resultieren. Aber es gibt auch Risiken und Nebenwirkungen. Dazu gehört die drohende Wohnungsnot.

    Um der wirtschaftlichen Dynamik gerecht zu werden, braucht es deutlich mutigere Eingriffe der Planung, als Viele wahrhaben wollen. Sonst droht der Kanton Basel-Stadt zum Stillstand zu kommen. Weshalb ist das kein Wahlkampfthema? (Bild: Margrit Müller)

    Diese öffnet der Immobilien-Spekulation Tür und Tor. Sie betrifft deshalb alle. In Zürich können wir beobachten, wie die Mieten wegen Raumknappheit jährlich um mehrere Prozentpunkte steigen. Wohnungssuche ist dort längst zum Kampfsport mutiert. Viele können sich die Stadt nicht mehr leisten. In zynischer Weise profitiert Zürich sogar finanziell davon, weil eine wachsende Zahl Sozialhilfebezüger in günstigere Gemeinden verdrängt werden. Zurück bleibt eine Wohlstands-Wüste.

    Zürich hat immerhin noch Landreserven, um zu reagieren. Der dortige Stadtrat plant zehntausende neue Wohnungen. In Basel ist die Situation düster. Die «Kantonale Strategie zur Wohnraumentwicklung» sieht «etwa 4400 neue Wohnungen» in zehn Jahren vor. Je zur Hälfte soll das Ziel auf neu zu bebauenden Flächen und durch Verdichtung in bestehenden Quartieren erreicht werden. Mit anderen Worten: Im Vergleich zu heute ändert sich nichts. Denn es entstehen auch jetzt schon jährlich 400-500 neue Wohneinheiten.

    Das ist viel zu wenig, und der Regierungsrat weiss es. Er sieht sich in einer Zwangslage. Der Kompromiss mit den Familiengärtnern lässt scheinbar keinen Raum für zusätzliche Neubaugebiete. Der Wahlkampf verlief bisher so, als ob es dieses Dilemma nicht gäbe. Dabei ist die Lösung der Wohnungsfrage für Basel vital. Nicht nur wegen der drohenden Not, sondern auch um Steuerzahler zu halten. Es geht ums Überleben des Standorts.

    Eine Option ist die stärkere Verdichtung im Bestand. Diese ist aber für die Bevölkerung nur dann ein Qualitätsgewinn, wenn in der Umgebung mehr Strassen, Plätze und Höfe begrünt und kinderfreundlich gestaltet werden. Und wenn sich das Angebot des öffentlichen Verkehrs, für Velos und Fussgänger stark verbessert.

    Die Beschleunigung und Verdichtung der Dreispitz-Überbauung oder das Projekt «Rheinhattan» rücken so in Reichweite. Gegen diese Entwicklung regt sich natürlich Opposition, wie bei jeder Veränderung. Doch wie stellen sich die Parteien dazu? Welche Strategie schlagen sie vor, um die Anliegen der Opposition zu verstehen und einzubeziehen?

    In Basels Norden droht eine neue Polarisierung wie rund um die Familiengärten – und in der Folge der Stillstand. Um der wirtschaftlichen Dynamik gerecht zu werden, braucht es deutlich mutigere Eingriffe der Planung, als Viele wahrhaben wollen. Oder – als Alternative – ein Verzicht auf Entwicklung. Wer was will, sollte sich im Wahlkampf zeigen.

  • Eine neue Form des Feudalismus

    Die Schweiz ist eine Insel der Seligen inmitten des Sturms, der über Europa fegt. Zusätzlich privilegiert sticht der Kanton Basel-Stadt hervor, dank hoher Lebensqualität und überdurchschnittlichem Wirtschaftswachstum. Wir senken die Steuern, während gleichzeitig die öffentlichen Investitionen boomen.

    Über die Hälfte der beruflich tätigen Steuerzahler von Basel-Stadt wird schon in naher Zukunft weder wählen noch stimmen können. Die Einheimischen hingegen, werden den Staat lenken, das Brauchtum pflegen und dafür sorgen, dass Basel Basel bleibt. (Bild: Keystone)

    Auch die Löhne sind hierzulande Spitze, selbst unter Berücksichtigung der Lebenskosten. Dies ist die Folge einer Standortpolitik, die sich erfolgreich darauf konzentriert hat, Arbeitsplätze mit stets höherer Wertschöpfung anzusiedeln. Höchste Wertschöpfung findet sich dort, wo pro Stunde am meisten verdient wird. Immer mehr Arbeitsplätze sind in Teppichetagen von Banken und Versicherungen, in der Pharmaforschung, in Beratungsunternehmen sowie allgemein in Hauptquartieren von global tätigen Unternehmen und Organisationen angesiedelt.

    Die Suche nach Managern solcher Konzerne ist ein Spiel ohne Grenzen. Ab und zu mag ein Schweizer den globalen Wettbewerb um einen dieser gut dotierten Posten gewinnen, meistens sind es aber hochqualifizierte Ausländer, die in der Folge einwandern. Bereits 2030 wird, laut einer soeben veröffentlichten Studie, im Kanton Zürich jeder zweite Angestellte ohne Schweizer Pass sein.

    Noch schneller als den Flächenkanton Zürich trifft diese Entwicklung den Stadtstaat Basel. Denn 18 Monate nach der Einreise wohnen gemäss der zitierten Untersuchung vier von fünf hochqualifizierte Zugewanderte im Zentrum. Somit wird schon in naher Zukunft die Mehrheit der berufstätigen Steuerzahler in Basel-Stadt politisch nichts zu sagen haben.

    Während sie aus den Chefetagen der Wirtschaft schrittweise verschwinden, bleiben den gut ausgebildeten Baslern jene Domänen vorbehalten, die sie gestützt auf ihre Herkunft und politischen Rechte ausüben können: Sie werden den Staat lenken, die Verwaltung managen, Gerichte bevölkern und sich der Kultur, den Medien, dem Sport und der Bewahrung des Brauchtums widmen. Dafür zu sorgen, dass Basel Basel bleibt, wird ihre Hauptaufgabe sein.

    Damit erlangen die Einheimischen eine ähnliche Stellung wie die Minderheit der Römer in der Spätphase ihres feudalistischen Reiches vor knapp 2000 Jahren. Oder die altägyptischen Dynastien, bevor sie jeweils von ökonomisch stärkeren Kräften weggeputscht wurden.

    Für Basel hält die Zürcher Studie immerhin einen Trost bereit: Ausdrücklich lobt sie die hiesige Matura-Quote von 29 Prozent im Vergleich zu 18 Prozent im Kanton Zürich. Nur mit einer Anpassung an Basler Verhältnisse könnten die Zürcher laut der Untersuchung ein höheres Bildungsniveau erreichen, das es ihnen erlaubt, mit Einwanderern um gute Jobs zu konkurrieren.

  • Seid einig, einig, einig

    Conradin Cramer, Anwalt, Notar und Hoffnungsträger der Liberalen Partei Basel-Stadt sprach Bahnbrechendes. Das Regionaljournal des Schweizer Radios lädt dieser Tage Basler Parteisprecher zum «Wahlzmorge» ein. Am letzten Freitag waren die Liberalen an der Reihe. Sie schickten Conradin Cramer ans Mikrofon. Als Mitglied des Parlamentsbüros ist der langjährige Riehener Grossrat weder Hinterbänkler noch Anfänger, sondern ein Schwergewicht unter den Bürgerlichen.

    „Ich bezahle gern die Steuern für das, was ich bekomme in diesem Kanton“, sagt nicht etwa ein Linker, sondern der prominente Riehener Liberaldemokrat Conradin Cramer. Wie kommt das?

    Zu Beginn des Gesprächs ging es um die Abgrenzung zwischen Liberalen und Freisinnigen, die ja bald nur noch am Rheinknie in zwei getrennten Fraktionen politisieren. Die Differenz liegt gemäss Cramer darin, dass seine Partei «gesellschaftspolitisch liberaler» und «eine Spur wirtschaftsfreundlicher» sei als die FDP.

    Der gastgebende Fragesteller Patrick Künzle spielte mit Cramer das Spiel «Sätze vervollständigen». Ein Satzanfang des Journalisten lautete: «Die Steuern für mich als Privatperson sind in Basel…» – und Cramer komplettierte: «… angemessen». Verblüfft hakte Künzle nach: «Man hört sonst immer von den Bürgerlichen sie seien zu hoch?» Cramer insistierte: «Ich bezahle gern die Steuern für das, was ich bekomme in diesem Kanton.» Wichtig sei, «die Rahmenbedingungen stets zu verbessern». Das sass.

    Cramers Aussage bedeutet nichts anderes als die Entpolitisierung der Steuerfrage. Sie ist in Basel nicht mehr strittig, sondern ein Thema, bei dem alle einig sind. Von links bis rechts. Natürlich gibt es dadurch keinen Freipass, den staatlichen Geldhahn nach Belieben aufzudrehen. Im Gegenteil: Die vorsichtige Finanzpolitik des Kantons bildet die Basis dieser Einigkeit.

    So setzte sich hierzulande die Erkenntnis durch, dass die Steuerbelastung zwar im Standortwettbewerb eine Rolle spielt. Innerhalb des Kantons ist der Anteil des Staatshaushalts an der Wirtschaftsleistung jedoch unerheblich. Eine effiziente öffentliche Hand trägt zum ökonomischen Erfolg bei. Universität und Spitäler etwa, sind Jobmotoren. Die meisten Ausgaben von Kantonen und Gemeinden befruchten die regionale Ökonomie. Der Löwenanteil geht in Form von Löhnen an hier beheimatete Angestellte.

    In Basel wird die gebetsmühlenartig wiederholte Aussage des Amerikanische Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney nicht geglaubt, wonach tiefe Steuern für Reiche die Wirtschaft ankurbeln. Denn diese Reichen geben einen grossen Anteil ihres Einkommens ausserhalb der Region aus, für Flugreisen, Ferienhäuser, Aktien oder Yachten. Der Mittelstand und erst recht die Ärmeren setzen ihr Geld jedoch vorwiegend lokal ein, genauso wie der Staat. Handlungsbedarf sehe ich jedoch bei den Pensionsfonds: Diese haben heute nur einen beschränkten Spielraum, um regional zu investieren. Darüber lohnte es sich, im Wahlkampf nachzudenken.

  • Erdrutschsieg der Linken

    Ginge es nach Markus Somm, diskutierten wir beim Wahlkampfthema öffentliche Sicherheit nicht über Polizei oder Prävention. Es ginge ausschliesslich um unser Menschenbild. Der BaZ-Chef konstruiert in dieser Frage einen ideologischen Krach zwischen Sozialdemokraten und Bürgerlichen (BaZ vom 1. September 2012). Die Linken sähen Straftaten zu Unrecht als Ausdruck gesellschaftlicher Fehlentwicklung. Die Rechten hingegen, würden das Böse effizient eliminieren, indem sie möglichst alle Täter wegsperrten.

    Sozialer Ausgleich ist die beste Prävention gegen Kriminalität. Das sehen auch die meisten Bürgerlichen so. Müsste man ein Linker sein, um diese Politik mit zu tragen, käme es bei den Basler Wahlen am 23. September zu einem sozialdemokratischen Erdrutschsieg. Das ist aber kaum zu erwarten. (Bild: Keystone)

    Dieser Gegensatz ist gekünstelt. Das Entsetzen über den Holocaust hat seit dem Zweiten Weltkrieg unzählige literarische und wissenschaftliche Recherchen über den Ursprung von Verbrechen ausgelöst. Zwar kennen wir noch nicht alle Details. Aber wir wissen inzwischen viel mehr, als uns Somm weismachen will.

    Angst und Aggression, zwei überlebenswichtige Reflexe, wirken bei Straftaten zusammen. Das gilt für Kleinkriminelle und Mörder ebenso wie für geldgierige Banker. Auch die Gene und frühere Erfahrungen entscheiden von Fall zu Fall mit, wie ein Mensch in bestimmten Situationen reagiert. Ausschlaggebend sind jedoch die Gelegenheit, die Diebe macht, und die gesellschaftliche Stellung des Täters.

    Zum Glück wuchs Markus Somm in der Schweiz als Sohn eines wohlhabenden Managers auf. Das gab ihm materiell hervorragende Startchancen. Wäre er in ein armes Elternhaus hineingeboren worden, hätte er ein paar zusätzliche Hürden überwinden müssen, um schliesslich ein unbescholtenes, finanziell sorgloses Leben führen zu können. Noch etwas dorniger wäre sein Lebensweg geworden, wenn zur familiären Armut noch ein harter Schicksalsschlag hinzugekommen wäre, zum Beispiel die Flucht aus einem Kriegsgebiet. Aber auch dann hätte der Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär gelingen können.

    Denn eine offene, soziale Gesellschaft, die Leistung honoriert, unterstützt diesen Aufstieg. Ob ich Angst und Aggression konstruktiv oder destruktiv einsetze, hängt davon ab, wie mir die Gesellschaft in kritischen Lagen entgegen kommt. Je unüberbrückbarer die sozialen Unterschiede erscheinen, umso höher ist die Zahl der potenziell Unzufriedenen, Verzweifelten und Kriminellen. Das illustrieren Beispiele wie Rio de Janeiro, Süditalien oder Johannesburg.

    Daher setzen die Schweiz und Basel in der Vorsorge gegen Verbrechen nicht nur auf Repression, sondern mithin auf persönliche und politische Solidarität. Diese Haltung teilen auch bürgerliche Kreise. Sie haben somit, laut Markus Somm, ein sozialdemokratisches Menschenbild. Würden sie entsprechend wählen, käme es am 23. September zu einem linken Erdrutschsieg. Doch zum Glück ist eine differenzierte Denkweise in diesen Fragen auch mit bürgerlichen Idealen vereinbar. Und so bleibt die Ausgangslage spannend.

  • Lenkung à la Bâloise

    Ein Aufschrei ging am letzten Wochenende durch die Schweiz. Bundespräsidentin Eveline Widmer-Schlumpf lancierte den neuen Benzinpreis von fünf Franken pro Liter. Damit illustrierte die Finanzministerin, wie eine ernsthafte ökologische Lenkung des Energieverbrauchs aussehen könnte. Sie war dabei so schockierend ehrlich, dass der zweite Satz ihrer Botschaft beinahe ungehört verhallte: Der vorgeschlagene Benzinpreis-Zuschlag wird gleichmässig pro Kopf an die Bevölkerung zurückerstattet. Zum Beispiel über die Verbilligung der Krankenkassenprämien.

    Es waren bürgerliche Mehrheiten, die im Kanton Basel-Stadt die seit 1998 erfolgreiche ökologische Lenkungsgebühr auf Strom einführten. Rätselhaft ist, weshalb die Schweizer Rechte den Vorschlag von Bundespräsidentin Widmer-Schlumpf ablehnt, einen ähnlichen Zuschlag auf Benzin zu erheben. (Bild: Keystone)

    Schwer zu verstehen ist, weshalb die bürgerlichen Parteien nicht begeistert zustimmten. Denn die Vorlage von Frau Widmer-Schlumpf erfüllt alle Bedingungen der Rechten: Die Lenkungsabgabe ist ein marktwirtschaftliches Instrument, das strikt staatsquotenneutral wirkt. Dank der Rückerstattung fliesst kein zusätzlicher Rappen in die Bundeskasse. Es handelt sich also nicht um eine Steuer (und damit auch nicht um eine Steuerreform).

    Überdies fördert der Zuschlag die Kostenwahrheit: Der neue Benzinpreis deckt Schäden des Spritverbrauchs, die bisher die Allgemeinheit trug. Zum Beispiel die Kosten der Klimaerwärmung oder der Luftverschmutzung. Widmer-Schlumpf setzt damit das Verursacherprinzip durch. Sie erlässt weder eine neue Vorschrift noch ein Verbot, das die individuelle Freiheit beschneidet. Die Wahlmöglichkeit – etwa zwischen Auto und Bahn – bleibt gewährleistet.

    Jetzt kommt das grosse Aber von links: Wenn der Benzinpreis bei fünf Franken liegt, können sich nur noch Reiche das Auto leisten. Diese scheinbare Ungerechtigkeit wird jedoch aufgewogen durch die gleichmässige Rückverteilung der Einkünfte aus der ökologischen Lenkungsabgabe an die Bevölkerung. Eine vierköpfige Familie erhält rund 3200 Franken pro Jahr zurück. Für ärmere Haushalte ist das viel. Ihr Einkommen wächst damit um mehrere Prozente. Bei Vermögenden fällt derselbe Betrag kaum ins Gewicht. Und Reiche verbrauchen auch mehr Energie. Somit legen sie auch mehr Geld in den Topf.

    Es waren bürgerliche Mehrheiten, die im Kanton Basel-Stadt die ökologische Lenkungsgebühr auf Strom einführten. Diese funktioniert seit 1998 einwandfrei. Der bürokratische Aufwand ist nachweislich gering. Die Rückerstattung an die Bevölkerung ist ein willkommener Zustupf für alle, die Energie sparen. Die Unternehmen profitieren über die Verbilligung der AHV-Kosten von zehn Prozent des Arbeitgeberbeitrags. Damit fördert die Abgabe den Werkplatz Basel. Auch die Lenkungswirkung ist da: Im Gegensatz zur übrigen Schweiz sinkt der Stromverbrauch in Basel-Stadt. Dies trotz erhöhter Wirtschaftsleistung und wachsender Bevölkerung.

    Frau Bundesrätin Widmer-Schlumpf – übernehmen Sie!

  • Das U-Abo entfesseln

    Basel ist stolz darauf, das U-Abo erfunden zu haben: Der günstige Einheitstarif für das gesamte regionale ÖV-Angebot ist eine Frucht der Umweltbewegung. Die Autoabgase (damals noch ohne Katalysator) gefährdeten in den 80er-Jahren die Gesundheit der Wälder. Also mussten griffige Lösungen her, um das Umsteigen auf den Öffentlichen Verkehr zu fördern. Was als politische Notfallübung begann, entpuppte sich als kommerzieller Geniestreich.

    Der an sich sympathische Einheitstarif des U-Abos lähmt die Ausdehnung des Einzugsge-biets. Mit leicht angepassten Abo-Kosten kämen auch Aarau, Olten, aber auch das Elsass und Südbaden in den Genuss der genialen Erfindung. (Bild: Keystone)

    Andere Regionen kopierten das U-Abo unter ganz verschiedenen Namen und entwickelten die Idee weiter. In den meisten Einzugsgebieten gilt: Wer täglich weiter fährt, bezahlt mehr. Das Einheits-Abo des Tarifverbunds Nordwestschweiz (TNW) ist heute eine Ausnahme. Das ist zwar sozial und auch sympathisch, weil praktisch, blockiert aber die Entwicklung.

    Im Tarifverbund Ostwind beispielsweise, können Berufstätige eine Stunde von Rapperswil nach St. Gallen pendeln. Ostwind knöpft ihren Kunden auf dieser Strecke 200 Franken pro Monat ab. Mit demselben Ausweis können sie dann die ganze Region zwischen Frauenfeld im Norden und Bad Ragaz im Süden bereisen. Das U-Abo des TNW deckt nicht einmal die 30 Minuten von Olten oder Aarau nach Basel ab.

    Die Ostschweizer Preise würde ich nicht zur Nachahmung empfehlen, doch erweist sich der heutige TNW als ein zu enges Kleid für das wachsende Einzugsgebiet Basels. Gegen Änderungen setzt sich ein Verbund von sozial und ökologisch Motivierten ein. Sie verhindern, dass sich das U-Abo den neuen Gegebenheiten anpasst: Zum Beispiel für Elsässer oder Lörracher Autopendler zu einer attraktiven Alternative wird. Es ist kaum denkbar, dass die 73 Franken reichen, um auch deren Mobilitätsbedürfnisse zu finanzieren.

    Darunter leidet auch die Entwicklung Basels. Denn die Grenzen der Tarifverbünde haben sich auch als Grenzen des Wirkungsfeldes von Zentren etabliert – mindestens in den Köpfen der Menschen.

    Eine nach Zonen differenzierte Tarifstruktur für die Monats- und Jahreskarten würde eine buchstäbliche Entfesselung des U-Abos ermöglichen. Entscheidend für die Akzeptanz differenzierter Abo-Kosten wäre die gleichzeitige Überwindung heutiger Beengung. Also der Sprung des TNW-Einzugsgebiets über den Jurakamm und vor allem über die Landesgrenzen nach Frankreich und Deutschland.

    Basel-Stadt, Baselland, Solothurn nördlich des Jura und der Bezirk Rheinfelden könnten weiterhin eine einheitliche Kernzone bilden, zu Kosten von 73 Franken. Der tiefe Preis diente als Basis, um den angrenzenden Bezirken attraktive Angebote zu machen. Zum Beispiel 100 Franken pro Monat für den heutigen TNW, inklusive Olten/Aarau oder inklusive St.Louis/Lörrach. Vielleicht 120 Franken für die Ausdehnung bis nach Kandern, Sierentz und Baden (AG). Und 140 Franken inklusive die Kantone Jura und Solothurn sowie bis nach Biel.

  • Föderation vor Fusion

    Die Unsicherheit über die politische Zukunft der Region überschattet seit Langem die Partnerschaft beider Basel. Es ist der Verdienst der soeben lancierten Fusions-Initiativen, dass sie in dieser Frage Volksabstimmungen anstreben und Klarheit schaffen wollen.

    Die Fusion beider Basel ist kurzfristig kaum realisierbar. Viel zeitgemässer wäre eine Föderation, die von Pratteln aus (hier im Bild von Markus Dalcher) gemeinsame Geschäfte führte: Ein wegweisendes Modell für die ganze Schweiz.

    Aber sind die Fusions-Initiativen auch zeitgemäss? Zweifel sind angebracht, speziell mit Blick auf das ökonomisch motivierte Ziel einer gesamtschweizerischen Gebietsreform. Diese läuft mittelfristig auf die Bildung von rund sieben Grosskantonen hinaus. Einer davon wäre der Kanton Nordwestschweiz.

    Das Baselbiet ist der erste und bisher einzige Kanton, der sich einen Bezirk eines anderen Standes durch Übertritt einverleiben konnte. Der Wechsel des Laufentals von Bern zu Baselland verlief, nachdem der Entscheid vor 20 Jahren gefällt war, verhältnismässig geschmeidig. Diese Erfahrung ist wertvoll für die Zukunft. Der neue Kanton Nordwestschweiz könnte sich genau auf diesem Weg bilden.

    Der erste Schritt wäre, dass die beiden Basel eine Föderation innerhalb der Eidgenossenschaft bilden. Ihren Status als Kantone würden sie beibehalten, jedoch eine zentrale Behörde mit Sitz in Pratteln gründen, welche durch ein gemeinsames Parlament kontrolliert würde. Alle Geschäfte, welche die Kantone einvernehmlich an die Föderation delegierten, würden in Zukunft dort entschieden: Etwa das Bildungswesen, der Öffentliche Verkehr, die Gesundheit, die Polizei. Also vor allem Geschäftsbereiche, die schon heute eine enge Zusammenarbeit kennen.

    Selbstverständlich würden nur jene Zuständigkeiten – Schritt für Schritt – an die Föderation abgegeben, bei denen Kosteneinsparungen zu erwarten wären. Die zusätzliche, gemeinsame staatliche Ebene hätte also keine emotionale Komponente, sondern würde nur dazu dienen, die Staatsausgaben tief zu halten und Mittel des Bundes sowie von Privaten effizienter zu mobilisieren.

    Besonders reizvoll an diesem System wäre, dass angrenzende Gebiete wie beispielsweise das Fricktal, an den Tätigkeiten der Föderation teilhaben könnten, ohne gleich den Kanton zu wechseln. Der Kanton Aargau müsste bloss die Zuständigkeit und die entsprechenden finanziellen Mittel punktuell an die Nordwestschweizer Föderation abgeben. Und er würde dies tun, wenn er dadurch Geld sparen könnte, ohne die Hoheit über das Fricktal aufgeben zu müssen. Bei den entsprechenden Sachfragen würde sich das Fricktal in der Nordwestschweizer Föderation selbst vertreten.

    Dieses dynamische Modell würde bald andernorts kopiert und könnte mit der Zeit zu neuen Konstellationen führen, welche ganz organisch und unverkrampft in eine neue Schweiz der Regionen mündete. Indem Bezirke nach und nach den Wunsch verspürten, die Kantonszugehörigkeit zu ändern – wie das Laufental vor 20 Jahren.

  • Copy paste ist keine gute Idee

    Das 65. Filmfestival von Locarno erinnert uns einmal mehr daran, dass die Basler Filmförderung seit Jahren nicht vom Fleck kommt. Deshalb spielt der Basler Film am Lago Maggiore auch heuer nur eine kleine Nebenrolle. Dies trotz massiver Präsenz von Swissness. Unter dem Wahrnehmungshorizont der internationalen Szene brodelt allerdings am Rheinknie ein erstaunlich vielfältiges Filmschaffen. Zu behaupten, Basel sei eine Filmstadt, wäre jedoch vermessen.

    Am gegenwärtig laufenden 65. Filmfestival von Locarno ist Basel kaum präsent. Dies ist jedoch kein Grund, um die Filmförderung anderer Standorte zu kopieren. Es bietet sich vielmehr die Chance für innovative Ansätze. (Bild: Keystone)

    Vielmehr wandern manche audiovisuell talentierte Baslerinnen und Basler nach Zürich, noch öfter nach Berlin oder New York aus, unter anderem weil sie dort bessere Förderbedingungen und Ausbildungsgänge vorzufinden hoffen. Das ist nicht weiter tragisch, denn eine Kulturstadt kann nicht alle Wünsche erfüllen und alle Sparten gleichermassen pflegen.

    Umso dringlicher stellt sich die Frage, was die Basler Filmförderung soll. Laut der regionalen Filmwirtschaftsstudie geben die beiden Basel weniger als ein halbes Prozent der gesamtschweizerisch investierten Mittel in diesem Sektor aus. Im Kulturleitbild von Basel-Stadt steht, der Kanton wolle gemeinsam mit Baselland und der Christoph Merian Stiftung «in den nächsten Jahren» ein neues Förder- und Finanzierungsmodell entwickeln. Dieses setzt sich zum Ziel, «vermehrte Mittel für die regionale Filmproduktion einzusetzen».

    Regionale Filmförderung geschieht fast überall mit der Absicht, den ortsansässigen Filmschaffenden den Zugang zu anderen staatlichen und privaten Geldern zu erleichtern. Mit Startkapital ist die Chance grösser, dass weitere Co-Produzenten einsteigen. Im Hintergrund hoffen Tourismusindustrie und Standortmarketing, eine ausgewachsene Filmwirtschaft würde ihre Region bekannt machen und vorteilhaft ins Bild setzen.

    So wie die Diskussion heute läuft, wird Basel mit verhältnismässig geringen Mitteln das Modell anderer Regionen – zum Beispiel der Zürcher Filmstiftung – kopieren. Innovativer erschiene mir jedoch das Füllen einer kreativen Lücke, die im Fördersystem der Schweiz klafft: Zum Beispiel die Förderung von Schweizer und nicht nur Basler Filmen nach bestimmten, oft vernachlässigten Kriterien. Oder dort einzuspringen, wo anderen, etwa der SRG, der Mut fehlt.

    Eine Möglichkeit wäre, Mittel zur Verfügung zu stellen für Autorinnen und Autoren, die experimentell mit Szenarien, aber ohne Drehbuch ans Werk gehen und damit gerade in Locarno schöne Resultate vorweisen können. Oder die Spezialisierung auf dokumentarische Fiktion, also die Mischung zwischen Spiel- und Dokumentarfilm. Das eigene Gärtchen pflegen alle. Eine besondere Ausstrahlung könnte Basel als ein Ort erreichen, wo neue Förderziele ausprobiert werden, die Kunst über Kommerz stellen und dazu beitragen den filmischen Lokalpatriotismus zu überwinden.

  • Ein Hochhaus fürs Grossbasel

    Die Kontroverse um das geplante Parkhaus beim Kunstmuseum hat eine neue Wendung genommen. Jetzt liegt der Plan auf dem Tisch, 300 Parkfelder unter einem Neubau zu platzieren, den die Swisscanto an der Dufourstrasse 9/11 zu errichten gedenkt. Die Akzeptanz ihres Vorhabens testet die Grundeigentümerin gegenwärtig mit einem «generellen Baubegehren».

    Es ist ein erklärtes Ziel der Basler Regierung, den Wohnungsbau auf geeigneten Parzellen durch Verdichtung zu fördern. Jetzt bietet sich dafür – direkt bei der Grossbasler Altstadt – eine perfekte Gelegenheit.

    Viel interessanter als die Diskussion der Parkhausfrage erscheint mir der Blick auf die oberirdische Struktur. Swisscanto will das Bürohaus aus den 50er-Jahren durch einen Neubau mit Läden, Büros und 26 Wohnungen ersetzen. Dieser Vorschlag trägt dem besonderen städtebaulichen Potenzial der Lage kaum Rechnung. Es ist ein erklärtes Ziel der Basler Regierung, den Wohnungsbau auf geeigneten Parzellen durch Verdichtung zu fördern. Dies gilt ganz besonders für Orte, die durch den öffentlichen Verkehr gut erschlossen sind und nahe an Einkaufsmöglichkeiten, Schulen, Arbeitsplätzen, Freizeiteinrichtungen und anderen städtischen Infrastrukturen liegen.

    Da die zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner nur kurze Wege zurücklegen müssen, kann zentrales Wohnen die Verkehrsbelastung deutlich reduzieren helfen. Die Innenstadt lässt sich auf diese Weise beleben, und das lokale Gewerbe gewinnt neue Kundinnen und Kunden.

    26 Logis sind daher für die Dufourstrasse 9/11 deutlich zu wenige. Es hätten auf diesem Gelände weit über 100 Wohnungen Platz – in einem vielleicht 50 Meter hohen Turm. Diese Höhe würde es erlauben, auf dem Grundstück trotz Verdichtung Raum frei zu halten für einen lauschigen, öffentlichen Kleinpark zum Museumsneubau hin. Zudem ist es nicht egal, was im Erdgeschoss eines Hauses geschieht, das in unmittelbare Nachbarschaft einer Kunststätte von globalem Rang zu stehen kommt. Beispiele für öffentliche Nutzungen an dieser Stelle wären ein Galerienzentrum, Verkaufslokale für die Kreativwirtschaft oder experimentelle Räume.

    Doch zurück zum Hochhaus: Dieses würde einen wünschenswerten Akzent in der Silhouette des Grossbasel setzen. Besonders reizvoll wäre der Dialog des neuen Gebäudes mit den Türmen von Münster und Elisabethenkirche, der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, aber auch mit dem 70 Meter aufragenden Lifescience-Forschungszentrum der Universität Basel am anderen Ende der Altstadt, beim Schällemätteli.

    Eher früher als später wird auch das Klinikum II des Unispitals ersetzt, dessen Grundstrukturen eine zeitgemässe Renovation kaum mehr zulassen. Auch dieser Neubau wird nicht mehr – wie der heutige – ein klein wenig, sondern deutlich über die Dächer der Altstadt hinausragen. Damit würden neue Orientierungspunkte gesetzt. Und die Turmlandschaft, die gegenwärtig auf der Kleinbasler Rheinseite in den Himmel wächst, erhielte ein ansprechendes Gegenüber.

  • Velostadt jetzt!

    Das Sommertheater um die Verzögerung der Mietvelostationen in Basel ist nur die Spitze des Eisbergs. Es ist das (vorläufig) letzte Kapitel eines Trauerspiels, das in eine vertane Chance münden könnte.

    Basel war, was Veloförderung betrifft, einmal europäische Spitze und fand weltweit Beachtung. Dann begannen uns andere Städte um die Ohren zu radeln. Noch ist die Velostadt aber nicht verloren. (Bild: Keystone)

    Es war einmal die Velostadt Basel. Fahrradfahren war schon in den 70er-Jahren populär, selbst unter Regierungsräten und Firmenchefs. Kurz darauf gab es erste Kredite zum Ausbau der Radwege und –spuren. Das Veloparking am Bahnhof SBB – obwohl von Anfang an zu klein geraten – war in seiner Art eine Pioniertat. Käufer von E-Bikes erhielten während über einem Jahrzehnt staatliche Zuschüsse.

    Das kommt nicht von ungefähr, hat doch Basel alle erdenklichen Vorteile für Velos: Vorwiegend flaches Gelände, breite Hauptstrassen, mildes, relativ regenarmes Klima und Mitnahmemöglichkeiten von Fahrrädern in Bus und Tram.

    Dann begannen andere Städte Basel um die Ohren zu radeln. Sie entdeckten das Velo als Verkehrsträger und bauten die Radwege systematisch aus. An neuralgischen Stellen wurden besondere Sicherheitsvorkehrungen für Fahrräder eingeplant, während in Basel die meisten Velostreifen genau dort enden, wo es für Zweiräder gefährlich wird. Grüne Welle für Velos? In Kopenhagen Alltag, bei uns unbekannt! E-Bike Sharing? In Zürich bald Realität, in Basel ein Fremdwort! Veloverleih? In den Kinderschuhen!

    Veloparkfelder wurden in den letzten Jahren höchstens punktuell vermehrt, öfter vergessen und sind heute teilweise hoffnungslos überstellt. Von hindernisfreien Fernverbindungen in die umliegenden Täler träumen wir noch, während andere Städte Langstrecken-Radpendlern mit «Veloautobahnen» den roten Teppich auslegen. Bei Schneefall werden diese Trassen als erste gepflügt. Muss Basel einmal pflügen, liegt der Schneematsch mancherorts tagelang auf den Velostreifen.

    Die Gründe für die weltweite Velo-Euphorie sind offensichtlich: Weniger Umweltverschmutzung, gesund bewegte Bevölkerung, Entlastung des individuellen motorisierten und des öffentlichen Verkehrs, bessere Klimabilanz. Und es kommt erst noch billiger, sowohl für den Staat als auch für Firmen und Private.

    Als eine global beachtete Erfolgsgeschichte der Stadtplanung und Tourismus-Magnet ist das Thema Velostadt geeignet, wie kein anderes. Sowohl in Paris als auch in Berlin wird jede Fremde sofort darauf aufmerksam gemacht, wie toll das Angebot für Fahrräder sei (in der Realität zeigen sich erste positive Ansätze). Tatsächlich gerechtfertigt ist das Prädikat Velostadt hingegen in Münster (Nordrhein Westfalen) oder Freiburg im Breisgau.

    Basel hat noch ein, zwei Jahre, um diesen Zug beziehungsweise dieses Bike nicht zu verpassen. Die Ausgangslage ist immer noch gut, aber die Taten sind zu wenig strategisch, zu punktuell und beanspruchen zu viel Zeit. Es braucht einen Ruck, der durch alle Parteien geht für eine Velostadt Basel jetzt!