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Kulturwandel für Nachhaltigkeit

Autor: Daniel Wiener

  • Das Tabu brechen

    Die Bundesgelder für dringende Infrastrukturbedürfnisse sind bekanntlich knapp. Kriegt nun Basel oder Luzern einen unterirdischen Bahnhof? Am besten beide, das könnte mit privaten Finanzierungen möglich werden.

    Von Karin Bührer und Daniel Wiener*

    Als Gründungsmitglieder des ersten Gotthardkomitees sind Basel-Stadt undLuzern schon seit 1853 freundschaftlich verbunden. Das damals verbindende Ziel hiess «Überschienung des Gotthards». Nun droht dieses Bündnis zu zerbrechen.

    Im nächsten Jahr wird der Bundesrat darüber entscheiden, welche «Engpassbeseitigung» wie viel Geld für eine Linderung bekommt. Geld, das im gleichen Topf ist, nämlich im «Ausbauschritt 2045» mit dem fabulösen Namen
    FABI (Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur). Und um diesen Honigtopf kreisen viele weitere Bienen aus der ganzen Schweiz.

    Zur Engpassbeseitigung planen Luzern und Basel die gleiche Lösung, nämlich eine unterirdische Querung nach dem Vorbild von Zürich. In Basel heisst das Projekt «Herzstück», weil es auch weitere Bahnhöfe einschliesst, in Luzern «Durchgangsbahnhof». Beide Tunnels sind etwa vier Kilometer lang, kosten mehrere Milliarden Franken, sollen nach dem Wunsch der Kantone 2040
    eröffnet werden und sind aus ihrer Sicht «unverzichtbar».

    Damit machen sich Luzern und Basel zu Konkurrenten. Es werden Allianzen geschmiedet, Strategien entworfen, Gespräche geführt, Delegationen weibeln nach Bern und PR-Agenturen sind am Werk, um kleinere und grössere Vorteile für sich zu erzielen. Es ginge auch anders.

    Zwar ist der ÖV-Ausbau politisch konsensfähig, gemäss Volksabstimmungen sogar populär, gerade weil er auch die Strasse entlastet, aber auch als umweltfreundliche Alternative dazu. Fakt ist aber, dass all die Infrastrukturwünsche der Kantone die Budgets der öffentlichen Hand bei weitem übersteigen.

    Die Kantone möchten den Ausbau, um die Bedürfnisse zu erfüllen, die aus der Bevölkerungszunahme resultieren. Diese betrifft überproportional die Agglomerationen, die bisher schlecht mit dem ÖV erschlossen sind.

    Die Gestaltung unseres Landes sollte dabei nicht in erster Linie davon abhängig sein, wie viel Geld kurzfristig in der Kasse liegt, sondern auf langfristige Zyklen achten. Das war schon immer ein Erfolgsmodell der Schweiz. Und dabei spielten private Investorinnen und Investoren jeweils eine wesentliche Rolle: Ohne sie wären Wasserkraftwerke in den Alpen, zahlreiche Eisenbahnlinien, Seilbahnen und Hotelanlagen, die Rheinschifffahrt und auch manches Spital sowie viele Schulen nie entstanden. Die Schweizer Infrastruktur lebt von diesem gesunden Mix von öffentlich und privat, damit der Fiskus nicht zum willkürlich limitierenden Faktor bei ihrem Ausbau wird.

    Angenommen, es kämen auch Private als Investorinnen und Investoren der Bahnausbauten von Basel und Luzern infrage. Dann hätte der Bund freie Hand, beide Projekte, deren Sinn kaum bestritten wird, voranzutreiben, und zwar ohne fiskalische oder zeitliche Einschränkungen.

    Der Lackmustest einer privaten Finanzierung oder Mitfinanzierung würde die Nachfragegerechtigkeit der neuen Angebote garantieren: Eine private Tunnelgesellschaft für Luzern und Basel würde nicht nur den Bau, sondern auch Betrieb und Unterhalt dieser Teilstrecken tragen.

    Sie müsste in der Konzession, zum Beispiel während 30 Jahren, eine minimale Verfügbarkeit der Infrastruktur von beispielsweise 99% gewährleisten. Dafür bekäme sie pro Zug, der die Anlage benützt, eine Gebühr, um ihre Investition zu verzinsen und zu amortisieren. Nur wenn diese Nachfrage zu kostentragenden Preisen garantiert werden kann, gilt ein solches Projekt als wirtschaftlich. Ob ein Vorhaben sinnvoll ist oder nicht, liesse sich unter anderem an solchen Massstäben messen.

    Natürlich liegen die Finanzierungskosten des Bundes tiefer als jene von Privaten. Auf der anderen Seite muss die öffentliche Hand aber alle Leistungen nach WTO-Regeln ausschreiben, was ein starres Kostenkorsett zur Folge hat. Private dagegen können – gemäss Schätzungen aus dem Bundesamt für Verkehr – durch Verhandlungen bis zu einem Drittel billiger beschaffen. Das gilt sowohl für Planungs- und Baumassnahmen als auch für den Unterhalt und andere Dienstleistungen.

    Sollte ein Privater per saldo etwas höhere Trassenpreise verrechnen müssen, würde dies ohnehin nur während der Konzessionsdauer, also etwa den ersten 30 Jahren, ins Gewicht fallen. Die frühere Verfügbarkeit der Infrastruktur wiegt diesen möglichen Nachteil bei weitem auf.

    Da alle hoffen, das Rennen um öffentliche Gelder zu machen, werden mögliche Alternativen tabuisiert. Nachgelagert würden – und das sei nur nebenbei bemerkt – bessere Anlagemöglichkeiten in Schweizer Infrastruktur dämpfend auf die Wohnungspreise wirken. Beispielsweise könnten Pensionskassen Teile ihrer Immobilienanlagen in inländische Infrastrukturinvestitionen verlagern. Denn Infrastruktur bietet den gleichen Inflationsschutz und ähnliche, regelmässige Renditen wie die Finanzierung von Wohn- und Geschäftsbauten.

    * Dieser Beitrag erschien am 23. Januar 2025 in der NZZ.
    Karin Bührer ist Geschäftsleiterin von Entwicklung Schweiz.

  • Zug brennt!

    In der Steueroase Zug – und das ist kein Witz – hat die Feuerwehr eine Arbeitsgruppe gebildet, um preisgünstigen Wohnraum für freiwillige Feuerwehrleute zu schaffen. Die Verdrängung Alteingesessener durch gut verdienende Zuzüger:innen, die die Feuerwehrsprache Schweizerdeutsch nicht verstehen, geht so weit, dass dieser vitale Service Public auszubluten droht.


    Es gäbe zwar viele internationale Einwohner, Frauen wie Männer, die sich für die freiwillige Feuerwehr melden würden, um sich besser zu integrieren. Sie können aber wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht in den Dienst aufgenommen werden. Es tönt nach einem Szenario dürrenmatt’scher Dimension: Das superreiche Schweizer Städtchen, das abbrennt, weil die Feuerwehr verwaist ist oder sich ein jämmerliches Rest-Häufchen in babylonischer Verwirrung gegenseitig mit Wasser bespritzt anstatt die Flammen zu löschen.

    Die Zuger Feuerwehrkrise ist die jüngste Episode in einem Trauerspiel, das sich schweizweiter Steuerwettbewerb zwischen Kantonen und Gemeinden nennt. Das kollektive Rennen in die steuerliche Feuerhölle, das fast nur Verlierer:innen kennt, spitzt sich immer weiter zu, ohne dass jemand eingreift.

    Es ist ein Teufelskreis, der sich automatisch von Jahr zu Jahr verstärkt. Grosse Einkommen und hohe Erbschaften verlagern sich rasch in Niedrigsteuer-Kantone und -Gemeinden. Wodurch sich diese bestätigt sehen, dass ihre Strategie aufgeht. Was an ohnehin privilegierten Orten zu stets weiteren Steuersenkungen führt.

    Umgekehrt bleiben dem Gros der ehemaligen Wohngemeinden von Super- und Neureichen nur, die erlittenen Ausfälle mit Hilfe von Steuererhöhungen zu kompensieren, um ihre Kosten zu decken. Der Bund schaut tatenlos zu, ja, lobt sogar dieses Treiben, das die Schweiz sozial polarisiert, eine hässliche Neidkultur befördert und die öffentlichen Kassen ausplündert. Denn in der Summe kennen die Steuereinnahmen nur eine Richtung: abwärts.

    Nachdem die Schweiz ihre Unternehmenssteuern nach aussen, mit der OECD, harmonisiert hat, sollte sie dasselbe in Innern tun, zwischen Kantonen und Gemeinden. Wer unternimmt den ersten Schritt?

  • Zwischen Soziologie und Mystik

    Hartmut Rosa, der umtriebige Thüringer Soziologe, der uns in grosser Unruhe Gelassenheit und Entschleunigung predigt, füllte am 27. Januar den grossen Saal des Berner Stadtcasions bis auf den letzten Platz. Weit über 1200 Menschen suchten Halt in seinen Theorien zu unseren turbulenten Zeiten. Viele hatten wohl seine Bücher über die Beschleunigung und Resonanz gelesen; Beschleunigung als Kennzeichen unserer Zeit und Resonanz als ein Bestreben, mit Raum und Zeit sowohl im Alltag als auch übergeordnet, in der Geschichte und in der persönlichen Biographie im Einklang zu leben und zu wirken.

    Rosas Vater war Bäcker und fand diese Harmonie, indem er seine Brote schuf, mit Fingerspoitzengefühl und Augenmass. Und er glaubte an eine bessere Zukunft für seine Kinder. Das war damals, in den Nachkriegsjahren noch einfach. Heute befürchten die meisten Menschen, so Rosa, dass es ihre Kinder schlechter haben werden, auch jene, die in materiellem Überfluss leben.

    Das offizielle Thema der Veranstaltung in der Reihe Zeitgedanken der Berner Burgergemeinde und der Universität Bern lautete: «Bedrohliche Zukunft, dunkle Vergangenheit? – Zeitkrise Europas.» Wie der Talk zu diesem etwas obskuren Titel passte, erschloss sich nicht ganz. Höchstens indem nicht selten esoterische Aspekte aufblitzten in Hartmut Rosas Gedanken. Zum Beispiel als er schilderte, wie ihn im Anblick der Bergkulisse von Eiger, Mönch und Jungfrau das Gefühl übermanne, dass ihn die Gipfel umarmen möchten. Um sich gleich darauf zu rechtfertigen und mehrfach zu betonen, er sei Soziologe und nicht Mystiker.

    Insgesamt war die Darbietung sehr ichbezogen, aber das Publikum nahm ihm dieses Gurugehabe gerne ab, war vielleicht teilweise aus aus Verehrung zugegen. Und es gab auch ein paar Glanzlichter, für die sich der Abend durchaus lohnte. Etwa die Hypothese, dass die Menschen des Fortschrittsglaubens bedürfen, um nicht in Depression zu verfallen. Weil sie im Moment, da sie alles haben, eher von Verlustängsten dominiert sind als von der Fähigkeit, das Leben und ihre Privilegien zu geniessen. Und diese Verlustängste dann wiederum satte Zeitgenoss*innen in Wutbürger*innen verwandelt.

    PS: Andreas Schaerer, der virtuose Berner Jazzsänger und Komponist beglückte das Publikum im Stadtcasino mit einem a capella Solo am Mikrophon als Rosas «Vorband» und «Abspann». Jederzeit hörenswert!

    Hörprobe: https://www.youtube.com/watch?v=KmafyNRl0Ys

  • Bruno Stefanini reloaded

    Die Solothurner Filmtage eröffneten ihren Festivalreigen 2025 mit Thomas Haemmerlis neustem Werk «Die Hinterlassenschaft des Bruno Stefanini». Vorab dies: Während seiner gut 90 Minuten lässt der Film niemals Langeweile aufkommen.

    Das Leben des Winterthurer Milliardärs, Sammlers und Jägers (von Häusern, Frauen, Devotionalien und Kunst) strotzte derart vor Wendungen, Überraschungen, Irrläufen, Höhe- und Tiefpunkten, dass es ohne weitere Zutat unterhält. Es wäre beinahe unmöglich, aus diesem Stoff eine Story zum Gähnen zu zimmern. Wohl auch aus diesem Grund erlag Thomas Haemmerli wohl der Versuchung, die Geschichte wie eine Tobildschau über einen Schulausflug zu erzählen. Von Anfang (Geburt 1927) zum Ende (Tod 2018), in strikt chronologischer Reihenfolge.

    Schade, es hätte ganz andere Ansätze gegeben, die das Geschehen bedeutend erhellender auf die Leinwand hätten bannen können. Indem zum Beispiel ein Aspekt des bunten und tragischen Stefanini-Lebens in aller Tiefe und Gründlichkeit ins Zentrum gerückt worden wäre. Letztlich bleibt uns Stefanini aber fremd, weil wir auch am Ende nicht verstehen, was ihn zum Beispiel dazu bewog, einerseits hypergeizig jeden Rappen zu spalten und anderseits Tausenden von Mieterinnen und Mietern in seinen Häusern einen Gefallen zu tun, indem er zwar nie renovierte, aber auch nie die Mieten erhöhte. Die verfallenden «Stefanini-Häuser» sind dadurch in Winterthur zum stehenden Bergriff geworden für jede verlotterte Liegenschaft.

    Solche Rätsel bietet das Leben des Sohns einer Glarnerin und eines italienschen Migranten zu Hauf. Beiläufig erfahren wir, dass er einer Freundin zwei Abtreibungen bezahlt hat. Nur kurz hält der Film inne, als er den Selbstmord von Stefaninis ältestem Sohn rapportiert. Solche Dramen reihen sich auf der gleichen Ebene ein wie der gemeinsame Kauf eines Ankerstichs mit Christoph Blocher. Alles bleibt Anerdote, bis hin zu den letzten offenbar gebrechlichen und leidvollen Jahre des Protagonisten.

    Ich hoffe, dass jemand diesen Stoff entdeckt und wirklich Licht ins Dunkel einer Persönlichkeit bringt, die viel mehr als nur den jeweiligen Zeitgeist verkörpert. Die Unterstützung der Stefanini-Stiftung «für Kunst, Kultur und Geschichte», deren Direktorin Bettina Stefanini (einer Tochter von Bruno Stefanini) an der Première in Solothurn einen hoch reflektierten Auftritt hatte, sollte dem nächsten Projekt gewiss sein.

  • Servus

    Die Kolumne «Unsere kleine Stadt» ist wie eine Fernsehserie. Sie kommt in Staffeln. Die erste Staffel mit 160 Kolumnen erschien in den Jahren 2004 bis 2008 im Kulturteil der Basler Zeitung. Heute endet die zweite Staffel von 94 weiteren wöchentlichen Betrachtungen in derselben Rubrik. Eine Fortsetzung auf diesem oder einem anderen Kanal ist durchaus möglich.

    Hans-Joachim Kulenkampff (Bild; Cinetext) war als TV-Quizmaster ein Meister seines Fachs. Er wusste auch, sich elegant von seinen Zuschauerinnen und Zuschauern zu verabschieden. Daran erinnert sich der Autor der Kolumne «Unsere kleine Stadt» bei seinem (vorläufigen) Abschied nach 260 Wochenkommentaren, die in zwei Staffeln erschienen sind.

    So ein Abschied fällt nicht leicht. Das Echo aus der ganzen Region und darüber hinaus wird mir fehlen. Die letzten beiden Jahre waren zunächst geprägt vom Dialog mit Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, sei es per Post, per Mail oder im begleitenden Blog www.unserekleinestadt.ch, zu dem Sie bis heute 980 Kommentare beitrugen. Später beschäftigte uns zusätzlich meine Kritik an Kurs und Stil der aktuellen BaZ-Redaktion. Einer Redaktion, notabene, der ich diese publizistische Bühne verdanke. Deshalb: Vielen Dank, liebe BaZ! Und dennoch: Ewig konnte das ja nicht gut gehen.

    Als Fernsehserie sollte man sich auch wie am TV verabschieden. Primus der eleganten «Adieus» am Bildschirm ist bis auf den heutigen Tag der Master aller Quizmaster, Hans-Joachim Kulenkampff. Als Vor-Vorläufer von Thomas Gottschalk moderierte er ab 1964 im Deutschen Fernsehen den samstäglichen Strassenfeger «Einer wird gewinnen», kurz EWG. Neben vielen anderen Dingen erfand Kulenkampff auch das gnadenlose Überziehen der Sendezeit. 30 Minuten waren das Minimum. Dramaturgisch war seine Quizsendung, nebenbei gesagt, sehr ähnlich gestrickt wie «The Voice of Switzerland».

    Am Ende jeder EWG-Ausgabe, liess sich «Kuli», wie ihn seine Fans nannten, vom Butler Mantel, Schal, Schirm und Hut reichen. Dabei motzte der Diener jeweils gut hörbar über angebliche Patzer und Pleiten der zu Ende gehenden Sendung. Alle wussten, dass Butler-Darsteller Martin Jente der verantwortliche EWG-Produzent war.

    So nehme ich heute Mantel, Schal, Schirm und Hut – und schicke mich an, Ihnen leise «Servus» zu sagen. Dieser wundervolle Gruss ist im ganzen Gebiet der ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie verbreitet. Also dort, wo ein Teil meiner Familie ursprünglich her stammt. Mit «Servus» verwandt ist in der Schweiz das Wort «Service», das auch in Basel manchmal im Sinne von «bitte, gern geschehen» zu hören ist.

    Die lateinische Wurzel von «Servus» weist darauf hin, dass ich Ihr Diener bin, Ihnen zu Diensten stehe. In diesem Fall ist es also Ihr Butler, der den Hut nimmt. Die Aufgabe des Schreibens verstehe ich als Dienst an der Leserin und am Leser: Sie zu informieren und zu unterhalten, zum Lachen zu bringen, manchmal auch zum Weinen oder Nachdenken. Nur so konnte ich Sie verführen, mir Woche für Woche zu folgen, und sogar bis hierher, zur letzten Zeile in dieser Staffel. In diesem Sinne: Danke, auf Wiedersehen und Servus.

  • Braune Tradition

    Die so genannte Ecopop-Initiative gibt sich ökologisch, löst aber kein einziges Umweltproblem. Mit Einwanderungsbeschränkungen will sie Engpässe auf dem Wohnungsmarkt oder in öffentlichen Verkehrsmitteln lindern, erreicht aber das Gegenteil. Ganz abgesehen vom Flurschaden, den das Begehren in der Wirtschaft, speziell auch in der Region Basel, anrichten würde.

    Um die Umwelt echt zu entlasten, müsste die Ecopop-Initiative den Absatz der Antibabypille in der Schweiz und speziell in Wollerau (Bild) fördern, wo die fettesten Autos zirkulieren und überdimensionierte Eigentumswohnungen die Landschaft verschandeln. (Bild Keystone)

    Doch der Reihe nach: Die Initiative will die jährliche Zuwanderung in die Schweiz von heute 80 000 auf 16 000 Personen senken. Davon wären vor allem hoch qualifizierte Ausländerinnen und Ausländer betroffen. Andere Länder haben hunderttausende von Euro oder Dollar in die Ausbildung dieser Menschen gesteckt. Wir sparen uns diese Investition und schonen damit unsere Kassen.

    Mit ihren Steuern finanzieren die wohlhabenden Migranten unsere Infrastruktur kräftig mit. Ohne ihren Zustupf wären manche Ausbauten von Bahnlinien, erneuerbaren Energien oder Museen gefährdet.

    Aber belasten die «Expats» nicht unser Ökosystem über Gebühr? Die meisten grossen Umweltprobleme, etwa die Klimaerwärmung oder der Verlust der Artenvielfalt, sind heute nicht lokal, sondern global. Die Schweizer Siedlungsstruktur, unser Energiesystem oder auch die Landwirtschaft sind zwar nicht nachhaltig, aber sie beanspruchen deutlich weniger Ressourcen pro Kopf als der Durchschnitt dieser Systeme in anderen hochindustrialisierten Ländern. Wandert ein Mensch zum Beispiel aus den USA ein, reduziert sich im Schweizer Umfeld automatisch sein Energieverbrauch, etwa weil es mehr öffentliche Verkehrsmittel gibt. Weltweit gesehen – und darauf kommt es an – ist diese Einwanderung also positiv für die Umwelt.

    Die Ecopop-Initiative verleugnet diese Zusammenhänge. Dafür verlangt sie, dass wir zehn Prozent unserer Entwicklungshilfe in die Förderung freiwilliger Geburtenregelung im Ausland stecken. Hier bewegt sich das Volksbegehren endgültig im Fahrwasser der braunen Tradition, welche unterscheidet zwischen höher- und minderwertigem Leben.

    Denn wo betreibt die Schweiz Entwicklungshilfe? Sicher nicht in Deutschland oder Kanada, sondern ausschliesslich in den ärmsten Ländern. Dort leben jedoch die Menschen mit dem kleinsten ökologischen Fussabdruck. Zehn Inder verbrauchen durchschnittlich gleich viel Energie wie ein einziger Westeuropäer.

    Um die Umwelt echt zu entlasten, müsste die Initiative verlangen, dass die Schweiz den Absatz der Antibabypille zum Beispiel in England, Nordamerika oder Australien fördert. Oder weshalb nicht gleich in der Schweiz und hier speziell in Wollerau, wo die fettesten Autos zirkulieren und überdimensionierte Eigentumswohnungen die Landschaft verschandeln? Mit ihrem vorgeschlagenen Eingriff bei den Ärmsten der Welt entlarvt die Initiative ihren wahren Charakter.

  • Theater für Basel

    Basel sucht eine neue Theaterdirektorin oder einen neuen Direktor. Zwar liegt der Entscheid hauptsächlich bei der Theatergenossenschaft, doch fiebert ihm eine breite Öffentlichkeit entgegen. Weshalb? Im besten Fall – und diesen wünschen wir uns alle – prägt die Theaterdirektion den politischen und kulturellen Diskurs und damit die Zukunft Basels wesentlich mit. Dem Dreispartenhaus wohnt das Potenzial inne, uns in ethischen Fragen zu beraten und ästhetische Massstäbe zu setzen.

    Nach Jahrzehnten der Importe brauchen wir heute eine neue Theaterdirektion aus Basel oder eine solche, die Basel sehr gut kennt. Denn die Aufgabe des Dreispartenhauses geht weit über Erbauung hinaus. (Bild: Margrit Müller)

    Das Theater ist zwar kein Parlament, das mit Ja oder Nein über konkrete Vorlagen abstimmt. Es ist auch kein Medium, das informiert wie eine Zeitung oder das Radio. Aber Aufführungen und Diskussionen, die dort stattfinden, künstlerische Leistungen, die wir bewundern und geniessen oder der Ärger über eine verpfuschte Inszenierung beeinflussen unsere Werte, unseren Blick auf die Welt, mithin unser Selbstbild und somit langfristig auch unser Denken und Handeln.

    Am Ende des Tages beeinflusst das Theater – sofern es Erfolg hat – persönliche und politische Entscheide. Wir wählen eine weltoffenere oder eine konservativere Regierung, wir stellen uns für oder gegen den Bau eines neuen Stadtteils, wir unterstützen das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Partnerschaften oder lehnen es ab, wir votieren für oder gegen die Ecopop-Initiative.

    Basel befindet sich an einem Wendepunkt. Das trifft nicht nur auf die Bevölkerungszahl zu, die seit einigen Jahren wieder wächst und dadurch die räumliche Stadtentwicklung prägt. Es steht auch ein demographischer Wandel bevor: In wenigen Jahren werden wir vom durchschnittlich ältesten Kanton zu einem der jüngsten Stände mutieren. Speziell der Anteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Ausbildung sowie der Kinder wird markant steigen. Die weitere Entwicklung der «Life Science»-Branche und damit verbundener Forschungsaktivitäten wird unsere wirtschaftliche, aber auch die soziale Realität umpflügen. Basel wird noch internationaler und entwickelt sich gleichzeitig in eine neue Massstäblichkeit hinein. Was viele Menschen als Chance sehen, macht anderen Angst.

    Zu kurz greift in dieser Situation ein Theater, das bloss schöngeistig unterhält oder auf Aktualität reagiert. Die neue Direktion muss vielmehr selbst Themen aufspüren und diese aktiv (und natürlich mit künstlerischen Mitteln professionell) ins Gespräch bringen. Bei aller erwünschten Weltläufigkeit, kommt es in dieser Wendezeit Basels auf das Verstehen und Interpretieren der hiesigen Realität mit intelligent eingesetzten theatralischen Mitteln an. Nach Jahrzehnten der Importe brauchen wir deshalb heute eine neue Theaterdirektion aus Basel oder eine solche, die Basel und die hiesige Gesellschaft von innen wahrnimmt und sehr gut kennt.

  • Parkieren mit Mehrwert

    Es war die Zeit der Utopien. Der heutige Vorsteher des Bau- und Verkehrsdepartements, Hans-Peter Wessels, engagierte sich für die kantonale Initiative «Basel autofrei». Diese wollte die Stadt nach dem Vorbild von Venedig in ein Paradies für Fussgänger, Fahrräder und öffentliche Transportmittel verwandeln. Ausnahmen waren nur für Versorgungsfahrten und Durchgangsstrassen vorgesehen.

    Wer im Restaurant Kunsthalle speist, finanziert den darüber liegenden Kulturbetrieb mit. Beim Kunstmuseum könnte ein unterirdisches Parkhaus entstehen, das die in den überirdischen Stockwerken tätige Kreativwirtschaft fördert und die Umgebung aufwertet. (Foto: Henry Muchenberger)

    Verständnis für das Anliegen signalisierte sogar die damals bürgerliche Regierung, als sie in einer Medienmitteilung schrieb: «Der Individualverkehr in Basel (…) hat ein Ausmass erreicht, dessen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt teilweise untragbar geworden sind.» Das Stimmvolk schickte das Volksbegehren am 9. Juni 1996 mit 70 Prozent Nein bachab, wobei einzelne besonders belastete Quartiere zustimmten.

    Fast 20 Jahre später sind die Träume kleiner und realistischer. Dank des Einsatzes von Hans-Peter Wessels wird «Basel autofrei» im Zentrum umgesetzt – und dies mit Zustimmung von Gewerbe und Anwohnern. Im Gegenzug befürwortet der Regierungsrat ein neues Parkhaus am Rand der Altstadt. Auch ich habe diese Entwicklung mitgemacht und sehe den aktuellen politischen Verkehrskompromiss als optimale Lösung.

    Nach 20 Jahren Planung will der Regierungsrat das so genannte «KuMu-Parking» unter dem St. Alban Graben möglichst rasch realisieren. Das ist verständlich. Ich fände es allerdings schade, wenn wir nicht alle Optionen genau untersucht hätten, bevor wir eine Situation für 100 Jahre zementieren.

    Die Swisscanto-Anlagestiftung besitzt ein Grundstück direkt neben dem neuen Kunstmuseum. Hier könnte ein öffentliches, unterirdisches Parkhaus mit gleich vielen Parkplätzen wie im «KuMu-Parking» realisiert werden. Ich habe den Auftrag angenommen, das Swisscanto-Projekt als Alternative zum «KuMu-Parking» weiter zu entwickeln, weil es die Chance bietet, oberirdisch ein Haus für die Kreativwirtschaft mit Wohnungen an bester Lage zu realisieren.

    Das Swisscanto-Parkhaus kann in 20 Monaten fast ohne Verkehrsbehinderung gebaut werden. Das «KuMu-Parking» braucht etwa doppelt so lang, weil das Tram und zahlreiche Leitungen unterfangen werden müssen. Deshalb spart das Swisscanto-Parkhaus im Vergleich zum «KuMu-Parking» etwa sechs bis zehn Millionen Franken. Diese Mittel will die Kantonalbanken-Tochter in kulturelle Einrichtungen in den Obergeschossen desselben Hauses investieren ­– zum Beispiel über eine öffentliche Stiftung. Die Situation wäre ähnlich wie bei der Kunsthalle, wo das Restaurant im Parterre den Kulturbetrieb darüber mit finanziert.

    Erst wenn das Vorhaben von Swisscanto auf dem gleichen Stand ist wie die Alternative, sollte ein Entscheid unter Berücksichtigung aller Informationen gefällt werden. Die Planungszeit dafür liegt bei wenigen Monaten.

  • Visionäres Schweizer Volk

    Vor 50 Jahren nahm das Schweizer Volk mit 79,1% Ja-Stimmen den Natur- und Heimatschutzartikel in die Bundesverfassung auf. Damals war die Schweiz eine 2000 Watt-Gesellschaft, das heisst: Sie verbrauchte etwa drei Mal weniger Energie pro Kopf der Bevölkerung als heute. Die Bevölkerungszahl betrug 5,5 Millionen im Vergleich zu 7,9 Millionen heute.

    Das Zusammendenken von Ansprüchen der Natur und der Kultur wird heute als Schlüssel für die notwendige Erneuerung in Richtung Nachhaltige Entwicklung gesehen. Die NATUR Messe lanciert ab heute einen breiten Dialog zu zukunftsfähigen Lebensstilen.

    Die Tatsache, dass Natur- und Heimatschutz in einem Atemzug genannt und im gleichen Verfassungsartikel verankert wurden, weist auf einen hohen Integrationsgrad von Natur und Kultur im Denken der Schweizer Gesellschaft vor 50 Jahren hin. Der Verfassungstext stellt Artefakte, also vom Menschen geschaffene Werte (zum Beispiel Ortsbilder) auf die gleiche Stufe wie Landschaften und Naturdenkmäler. Und er nennt beide Aspekte, die die Schweiz prägen, aber seither auseinanderdriften, wie selbstverständlich im gleichen Satz.

    Aus dem damaligen Zusammenhang heraus ist auch klar, dass die enge Beziehung zwischen Natur und Heimat als identitätsstiftendes Merkmal der Schweiz gesehen wurde. Zur Durchsetzung der Verfassungsbestimmung kann der Bund sogar Enteignungen anordnen «wenn das öffentliche Interesse es gebietet».

    Das Zusammendenken von Ansprüchen der Natur und der Kultur, ja sogar von Natur und Gesellschaft, wird heute als Schlüssel für die notwendige Erneuerung in Richtung Nachhaltige Entwicklung gesehen. Der 50 Jahre alte Verfassungstext trägt somit den Keim einer neuen Ära in sich, die allerdings noch bevorsteht. Denn die Schweiz entwickelte sich danach – wie ganz Westeuropa – zu einer Konsumgesellschaft, die den hehren Absichten ihrer Verfassung kaum Rechnung trug. Heute stehen wir an einem Wendepunkt.

    An diesem Wendepunkt lanciert die NATUR Messe, die heute in Basel beginnt, einen breiten Dialog zu zukunftsfähigen Lebensstilen, die den Anforderungen einer dichter bebauten und mit höherem Komfortanspruch wirtschaftenden Schweiz entsprechen. 150 Aussteller, darunter etwa die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA), der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA), der Kanton Aargau, der Schweizer Tierschutz (STS), aber auch private Anbieter wie Coop, Manor, Weleda oder Soglio zeigen in der Halle 4 der muba auf attraktive und unterhaltsame Art und Weise, wie wir in Zukunft leben können, in Harmonie mit der Natur.

    Nun ist diese Anforderung zur Überlebensfrage geworden. Erstaunlich ist dabei bloss, dass die Schweizer Stimmbürger bereits vor 50 Jahren in einem Verfassungsartikel die Anforderungen definiert haben, die wir heute nur noch zu erfüllen brauchen. Mitreden und mit Handeln ist erwünscht an der NATUR Messe – ab heute bis Sonntagabend.

  • Fingerhuths Fehler

    Oft wurde ich im Laufe der kurzen Bauzeit des ikonischen Messeneubaus von Herzog & de Meuron gefragt, was ich von diesem silbernen Riegel am Messeplatz halte. Schon allein die Frageweise verriet jeweils, dass man von mir ein negatives oder gar abschätziges Urteil erwartete, da ich zu den kritischen, an nachhaltiger Entwicklung orientierten Geistern dieser Stadt zähle. Meine Antwort war in diesen Fällen: Erst wenn das Gebäude steht und der Platz gestaltet ist, kann ich zum Ergebnis Stellung nehmen.

    Basel bewegt sich mit dem Messeneubau und dem Roche-Turm in eine neue Massstäblichkeit hinein. Und das ist gut so. Denn nur dieses neue Mass wird es uns erlauben, mit dem Boden haushälterisch umzugehen und Platz zu schaffen für nicht kommerzielle und grüne Freiräume.

    Jetzt ist es so weit, und ich muss sagen: Der neue Messeplatz gefällt mir. Zauberhaft ist der nächtliche Blick auf den schwarzen Himmel und den Mond durch die runde Öffnung des Neubaus. Der elegante Schwung des Entrées auf beiden Seiten des gedeckten «Foyers» ist einladend und wird sich hoffentlich bald mit Leben füllen. Natürlich passt die Umgebung jetzt noch nicht ganz dazu. Ein konzentrierter Wandel an dieser Stelle schafft jedoch in den kommenden Jahren ein neues Gravitationsfeld: Mit einer Gruppe Hochhäuser, einer aufgewerteten Rosental-Anlage, der fussgängerfreundlichen Clarastrasse und der guten Tram-Erschliessung wird dieser Teil der Stadt endlich ins Zentrum integriert – womit die lange ersehnte Erweiterung der Innenstadt Realität würde.

    Genau in diesem Moment meldet sich aus Zürich der ehemalige Basler Kantonsbaumeister Carl Fingerhuth zu Wort. Er prangert sowohl die Messehalle als auch das im Bau befindliche Roche-Hochhaus an der Grenzacherstrasse wegen «fehlender Massstäblichkeit» an. Beide Projekte, erklärte er im Regionaljournal Basel von SRF und später in der NZZ, seien «stadträumlich ein Verlust für Basel».

    Carl Fingerhuth hat grosse Verdienste um die Basler Stadtentwicklung und die hiesige Architekturszene. In seiner Wirkungszeit förderte er durch systematische Auftragsvergabe über Wettbewerbe damals noch kleine Büros wie jenes von Jaques Herzog und Pierre de Meuron. Nur weil diese heute Weltstars sind, ist noch lange nicht alles gut, was sie bauen. Und Kritik ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Umgekehrt ist es stillos, alles klein zu reden, nur weil es in neue Dimensionen vorstösst und von berühmten Architekten stammt, wie es – leider nicht nur in Basel – üblich geworden ist.

    Fingerhuths Fehler ist nicht, dass er sich in die Debatte einmischt. Er sollte es aber dann tun, wenn es noch etwas zu diskutieren gibt. Sobald ein Entscheid gefällt und ein Projekt im Bau ist, wäre es weiser zu schweigen und abzuwarten, wie das Ergebnis aussieht. Natürlich bewegt sich Basel gegenwärtig in eine neue Massstäblichkeit hinein. Das ist auch gut so. Denn nur dieses neue Mass wird es uns erlauben, mit dem Boden haushälterisch umzugehen und im engen Perimeter der Stadt Platz zu schaffen für nicht kommerzielle und grüne Freiräume.