Ein Gespenst geht um in der Schweiz – das Gespenst der Abzockerinitiative. Diese will dafür sorgen, dass sich die Teppichetage nicht unkontrolliert am Guthaben der eigenen Firma bedienen kann. Wie der Lehrling, der für seinen Fehlgriff in die Bürokasse bestraft wird, soll auch der Manager büssen, wenn er sich unmoralisch bereichert. Die Ehrlichen haben in beiden Fällen nichts zu befürchten.
Wollen Reiche reich bleiben, damit sie Steuern zahlen können oder wollen sie weniger Steuern bezahlen, damit sie reich bleiben? Um die Abzocker-Initiative zu Fall zu bringen, greift Ex-UBS und Credit Suisse-Chef Oswald Grübel (Bild) in die Trickkiste.

Um diese einfache Ausgangslage zu vernebeln, hat ein neuer Diskurs um Reichtum eingesetzt. Dieser zielt darauf ab, uns zu verwirren. Die Abzocker sollen uns plötzlich Leid tun. So bejammerte der ehemalige UBS- und Credit Suisse-Banker Oswald Grübel kürzlich im «Sonntag» den Undank der Regierungen Frankreichs und Englands (unter früherer, linker Führung) gegenüber ihren Reichen. Einkommensmillionäre würden mit Steuern so sehr drangsaliert, dass sie sich zur Auswanderung gezwungen sähen. Siehe Gérard Depardieu, der plötzlich Russe wurde.
Bürgerliche Feuilletons erfanden für solche Menschen mit wenig Bodenhaftung um 1900 den Begriff «vaterlandslose Gesellen». Als solche verleumdet wurden damals allerdings nicht Kapitalisten, sondern internationalistische Kommunisten und Sozialdemokraten. So wechseln die Zeiten.
Zurück zu Oswald Grübel: Anstatt Einkommensmillionäre «mit emotional geprägten Entscheiden zu vertreiben», empfiehlt er zu «versuchen, diese Leute zu halten, damit die Steuern für die Mehrheit weiter tief bleiben». Kurios: Mit «diese Leute» meint er wahrscheinlich sich selbst.
Klartext sprach für ihn dann die Basler Zeitung am letzten Samstag: Bonzen würden, zum Beispiel in TV-Krimiserien wie «Tatort», für alle Verbrechen dieser Welt verantwortlich gemacht. Zwar müsse man, so Leitartikler Markus Somm, «die Reichen und Erfolgreichen nicht lieben». Das erwarte niemand. «Doch sie so zu pflegen, dass sie sich hier wohl fühlen», das sei «eine Frage der praktischen Vernunft».
Grübel schreibt unverblümter, worin diese Vernunft besteht: «In den meisten Staaten» bezahle «die Minderheit der Hochverdiener» die Mehrheit der Steuern, «auch in der Schweiz». Lasst also den Reichen ihr Geld, damit sie mehr Steuern zahlen können. Abzocker zu «pflegen», sichert gemäss dieser Logik die öffentlichen Einnahmen.
Doch bei nächster Gelegenheit stemmen sich die «Hochverdiener» auch wieder gegen das Steuerzahlen, wie das Beispiel Depardieu und viele andere zeigen. Was gilt jetzt? Wollen Reiche reich bleiben, damit sie Steuern zahlen können oder wollen sie weniger Steuern bezahlen, damit sie reich bleiben, um allenfalls mehr Steuern bezahlen zu können? Unsere armen Reichen machen uns ganz konfus, nicht nur Somm und Grübel.
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